Ausgerechnet in Deutschlands auflagenstärkster Boulevardzeitung, die oftmals Euroskepsis trommelt, erklang dieser Tage die Stimme der Vernunft. Unter der Überschrift "Rettet den Euro!" formulierte der stellvertretende Chefredakteur von "Bild am Sonntag", Michael Backhaus, eindringlich: "Der Euro ist nicht zuletzt für Deutschland ohne wirkliche Alternative. Oder glaubt jemand, wir wären mit der D-Mark besser durch die große Wirtschafts- und Finanzkrise gekommen?"
Daran anknüpfend mahnt der Leitartikler: "Doch die Regierungen sollten nicht länger so tun, als ob nicht jeder für jeden im Euro-Raum einstehen muß. Denn wenn man im selben Boot sitzt, kann man niemanden untergehen lassen."
Diese Sätze sollten vor allem dort gehört werden, wo sie niedergeschrieben wurden, nämlich in Berlin. In der Bundeshauptstadt sowie den meisten anderen Metropolen der Euro-Zone greift eine Rette-sich-wer-kann-Stimmung um sich. Der eine versucht den anderen von Bord zu stoßen in der Hoffnung, so die hohen Wellen im finanzpolitischen Sturm besser überstehen zu können.
Die Rangelei ist heftig: Der Größte, nämlich Deutschland, isoliert sich immer mehr, weil er sich spürbar entsolidarisiert; die Kleineren wiederum wollen ihn übermäßig zur Kasse bitten, weil er tatsächlich derzeit von der Krise auch profitiert, was Exporte und niedrige Zinsen betrifft. Der langjährige Chefvolkswirt der HypoVereinsbank Martin Hüfner nennt Deutschland gar einen "Kriegsgewinnler", zumal der IFO-Geschäftsklima-Index Ende November das zweithöchste Niveau der letzten 30 Jahre erreichte.
Deutschland boomt, aber die Risiken sind durchaus vorhanden. Doch würden sie geringer, wenn Deutschland aus der Mitverantwortung für die Anderen oder gar aus dem Euro aussteigen würde, wie populistische Stimmen immer lauter fordern? Ganz im Gegenteil, dies wäre ein gefährlicher Schlag nicht nur für unsere exportorientierte Wirtschaft, die gerade die Märkte im Süden und in Frankreich braucht, und für unseren sich prächtig erholenden Arbeitsmarkt, sondern auch für den politischen Zusammenhalt Europas.
Das Wort von der Transfer-Union vergiftet die deutsche und europäische Debatte. Auch innerhalb der Bundesrepublik mit ihrem weitgehenden Länderfinanzausgleich gilt es den permanenten Geldtransfer von verantwortlich wirtschaftenden, starken Ländern hin zu rot-roten Bankrotteuren wie im Bundesland Berlin zu verringern und einzugrenzen. Völlig abschaffen wird man den Ausgleich aber nicht - und nennt das Ganze dann nicht Transfer-Union, sondern Vaterland.
Was aber ist mit der Union freier europäischer Völker, die ein Visionär wie Franz Josef Strauß als das "größere Vaterland" titulierte? Auch hier dürfen Rettungsschirme und Transferleistungen nicht unbegrenzt sein - zumal, wenn sie nicht der Stabilisierung von Staaten, sondern den Interessen verantwortungsloser Banken dienen; aber ohne inneren Zusammenhalt und echte europäische Solidarität werden wir Europäer in einer politisch, wirtschaftlich, ja sogar militärisch immer gefährlicheren Welt nicht überleben. Über das Wort des großen Europäers Helmut Kohl, wonach der Euro letztlich eine Frage von Krieg und Frieden sei, wird derzeit wieder so hämisch gelacht wie über jenes von den "blühenden Landschaften" im Osten. Diese gibt es aber wirklich, wie Angela Merkel unlängst zu Recht feststellte; und die Kriegsgefahr genauso. Es war ein Mangel an innerem Zusammenhalt zwischen Deutschland und Frankreich, der in den neunziger Jahren den jugoslawisch-serbischen Krieg gegen Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo eskalieren ließ. Sicherheitspolitische Wetterleuchten gibt es nicht nur auf anderen Kontinenten, die für unsere Stabilität in vielfacher Hinsicht von Bedeutung sind, sondern sogar an den Rändern Europas. Damit sie nicht in Gewitter umschlagen oder womöglich wieder das Herz unseres Kontinents erreichen - was, wenn man die Geschichte kennt, in jeder Generation möglich ist, wenn es auch heute höchst unwahrscheinlich erscheint -, muß die politische Integration weiter vorangetrieben werden.
Ohne Rückhalt der starken Euro-Länder für die schwachen und ohne Rücksicht der Schwachen auf die Belastbarkeitsgrenzen der Starken, ohne wirksame Gemeinschaftsinstrumente in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wie auch ohne supranational verfaßte, aber von den Mitgliedstaaten solidarisch mitgetragene Politische Union wird unsere zersplitterte Halbinsel am Rand des Eurasiens im Verlauf des 21. Jahrhunderts schlichtweg untergehen, selbst wenn sich Mächte, die im Weltmaßstab längst zu Kleinstaaten geworden sind, wie Großbritannien, Frankreich oder Deutschland, noch so sehr aufplustern.
Deutsche Sorge um wohlverstandene Eigeninteressen - die sich übrigens weitgehend mit jenen der anderen Europäer decken - und um eine europäische Stabilitätskultur, wie sie in der Tat vielfach verletzt wurde: Ja! Doch von nationalen Ressentiments gespeister, letztlich die eigene Stabilität und Stärke gefährdender Provinzialismus: Nein! Das europäische Boot wird in den Stürmen, die aufgrund krisenhafter Entwicklungen in den USA, dem nach wie vor vorhandenen Dominanzstreben Rußlands oder des Aufstieges Chinas drohen, nur dann nicht kentern, wenn sich alle Passagiere der gemeinsamen Verantwortung bewußt sind, wenn der Motor funktioniert und verantwortliche Steuerleute den Kurs bestimmen.
Es war richtig, im Lissabonner Vertrag, der jetzt seit einem Jahr in Kraft ist, die Gemeinschaftsinstitutionen zu stärken, und sie beginnen gerade entsprechend der neuen Möglichkeiten zu funktionieren. Wenn aber die Mitgliedstaaten und ihre Regierungen auseinanderdriften, wird dies wieder konterkariert.
Wir brauchen weder eine neue noch ein Zurück zur früheren Währung, sondern eine auf Stabilität zielende Haushalts- und Finanzpolitik aller Euro-Staaten - ergänzt, wie von Helmut Kohl schon 1991 in Maastricht gefordert, durch eine ebenso standfeste politische Union.