Der Wasserpudel

18.02.2012
von Bernd Posselt

Ein Paneuropäer, den es nach Washington verschlagen hatte, traf dort vor dem Weißen Haus zuerst den "First Dog", also den Portugiesischen Wasserpudel von Präsident Barack Obama, und dann den ehemaligen EU-Kommissar Günter Verheugen.

Dies regte zum Nachdenken über Europas Rolle zwischen den Weltmächten an. Obama scheint derzeit Europa eher mit einem gut abgerichteten Pudel zu assoziieren als mit einer eigenständigen Macht, die von starken Institutionen repräsentiert wird. Anders wäre weder sein hinhaltender Widerstand gegen funktionsfähige internationale Regeln für die Finanzmärkte zu erklären noch seine Verschuldungs- und Inflationspolitik. In den ersten zwei Jahren seiner Präsidentschaft hat er mehr Schulden gemacht als seine Vorgänger während des gesamten Vietnamkrieges. Jetzt plant er noch einmal 600 Milliarden frisch gedruckter Dollar in den Geldmarkt zu pumpen, also etwa das Vierfache eines EU-Jahreshaushaltes.

Ohne Euro hätten die Europäer nicht die geringste Chance, sich gegen solche Manipulationen wenigstens einigermaßen zur Wehr zu setzen. Dennoch gibt es wirtschaftlich, institutionell sowie außen- und sicherheitspolitisch noch einiges zu tun, bis die halbe Milliarde EU-Europäer zumindest halbwegs mit 300 Millionen US-Amerikanern auf gleicher Augenhöhe verhandeln und konkurrieren kann.

Manche Europäer rechtfertigen den Versuch Washingtons, seine Probleme wirtschaftlicher und außenpolitischer Art zu Lasten der EU zu lösen, mit der chinesischen Herausforderung. Doch mehr noch als für die USA ist diese für Europa gegeben. Das massive Werben der Pekinger Führung um das krisengeschüttelte Griechenland und seine Häfen, die Einflüsterungen chinesischer Politiker in Kroatien, man könne doch, statt den strengen Wettbewerbsregeln der EU für den Schiffsbau zu folgen, die Werften an China veräußern, die systematische wirtschaftliche und politische Expansion des asiatischen Riesenlandes nicht nur in Afrika, sondern auch in Südosteuropa, das sich zum Teil von der EU verlassen fühlt, sollten in Straßburg und Brüssel endlich als Alarmzeichen erkannt werden.

Hinzu kommt eine Energiepolitik vieler europäischer Staaten, die von Rußland wertvolles Öl und Gas kauft, damit Moskau dann aus dem Erlös für den Eigenbedarf extrem unsichere Kernkraftwerke errichtet - eine gefährliche Fehlentwicklung, von den außenpolitischen Abhängigkeiten, die so für die EU entstehen, ganz abgesehen. Darüber hinaus ist es Rußland mittlerweile gelungen, eines der wichtigsten europäischen Länder, nämlich die Ukraine, mittels Energieerpressung und dubioser grenzüberschreitender Strukturen von Westorientierung und demokratischen Reformen abzubringen und eine Art Resowjetisierung einzuleiten. Diese greift umso leichter um sich, als viele EU-Verantwortliche Kiew in den mittlerweile verklungenen Jahren der Öffnung die kalte Schulter zeigten.

Aufgabe der europäischen Staats- und Regierungschefs wäre es jetzt, nicht von einer Renationalisierung Europas zu träumen, wie dies leider auch in Berlin immer wieder geschieht, sondern in einem gemeinsamen Willensakt die Gemeinschaftsinstitutionen der EU zu stärken, und zwar gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der sie ihre Kompetenzen so eifersüchtig hüten. Die Stabilisierung des Euro und Griechenlands war eine gelungene Abwehrmaßnahme. Jetzt aber bedarf es einer strategischen Offensive, die aus mehreren Elementen bestehen muß:

Zuerst braucht Europa wirksame Finanzregeln, die weit über das jetzt in Brüssel Beschlossene hinausgehen. Das Europaparlament hat während der anstehenden Gesetzgebungsverfahren die Chance, das bislang Vereinbarte massiv zu verschärfen. Auch der Wunsch nach Vertragsänderungen für Sanktionsmechanismen gegen Verschuldungssünder, einschließlich eines eventuellen Stimmrechtsentzuges, darf nicht einfach ersatzlos aufgegeben werden. Die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds, der nicht so heißt, aber wie eine Versicherung von den Risikostaaten proportional stärker aufgefüllt werden sollte als von anderen, muß wieder in die mittelfristigen Überlegungen eingebracht werden. Nur ein ganzes Bündel solcher Maßnahmen hin zu mehr gemeinsamer Wirtschafts- und Währungspolitik kann die EU gegen die kommenden Stürme stabilisieren und sie zu einem ernstzunehmenden Gegengewicht gegen die Washingtoner Leichtfertigkeit machen.

Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik darf bei der am 1. Dezember, also genau ein Jahr nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages, anstehenden Gründung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes nicht stehenbleiben. Die nächsten Stufen müssen die Entwicklung eines überzeugenden europäischen Strategiekonzepts, eine koordinierte Energie-Außenpolitik und letztlich der Aufbau einer Europäischen Armee sein, die Kleinmütige heute noch als illusionistisch abqualifizieren, obwohl sie ein Visionär wie Franz Josef Strauß schon vor 50 Jahren für notwendig und realisierbar hielt und sie mit dem Eurokorps bereits einen modellhaften Kern besäße.

Zumindest mit der Wahl seines Hundes hat Präsident Obama großes Geschick bewiesen. Der Wasserpudel hat außerordentliche Fähigkeiten wie die, im Meer schwimmend Fische zu fangen, weshalb diesen vierbeinigen Landsleuten von EU-Kommissionspräsident Durão Barroso in ihrer Heimat in der portugiesischen Algarve seit über hundert Jahren ein legendärer Ruf vorauseilt. Die Europäer können stolz auf diese einer uralten Kultur entspringende Hunderasse sein. Doch was nutzt es, wenn sie selbst zum Pudel werden - an der Leine Washingtons, Pekings, Moskaus, Neu-Dehlis oder wessen auch immer.