von Andreas Klarner
Angesichts der durch die internationalen Krisen und Kriege gestiegenen Herausforderungen werden in der EU Maßnahmen zur Harmonisierung der Luftstreitkräfte ergriffen, in deren Zentrum die Entwicklung von gemeinschaftlichen Fähigkeiten steht, die aufgrund ihres Umfangs und ihrer Komplexität einzelstaatlich nicht mehr geleistet werden können. Andreas Klarner, Experte für militärische Luftfahrttechnik und Mentor des neuen EUDIS-Accelerator-Programms der EU-Kommission, erklärt, worum es dabei geht.
Die Europäische Union muß im eigenen Hoheitsgebiet wieder verteidigungsfähig werden, und zwar zu Lande, zur See und in der Luft. Aber wie definiert sich diese „Verteidigungsfähigkeit“ und wo liegen die Handlungsfelder?
Zunächst bedarf es dafür einer gemeinsamen Zielsetzung und Strategie, gefolgt von operativen Vorgaben und deren erfolgreicher Umsetzung durch die EU, aber auch durch die einzelnen Mitgliedstaaten. Die Handlungsfelder lassen sich dabei wie folgt kategorisieren:
● Material – die zeit- und bedarfsgerechte Bereitstellung geeigneter Sensoren und Effektoren in den Dimensionen Land, Luft, See und Weltraum.
● Personal – die Bereitstellung leistungsfähiger Soldaten und Unterstützungskräfte, in erforderlichem Umfang.
● Infrastruktur – die Bereitstellung geeigneter Transport- und Rettungswege sowie von Schutzräumen für die Bevölkerung, aber auch alle Maßnahmen zum Schutz kritischer Infrastrukturen.
● Organisation – die Schaffung resilienter Strukturen, Prozesse und Verfahren zur Führung und Durchführung militärischer und sicherheitsrelevanter Operationen.
Und hier genau liegt die Herausforderung für die EU. In den letzten Jahren sind die Verteidigungsbudgets der EU-Mitgliedstaaten in Summe deutlich angestiegen bis auf zuletzt circa 330 Milliarden Euro pro Jahr, also etwa 1,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts der EU. Damit entsprechen sie etwa einem Drittel der jährlichen Verteidigungsausgaben der USA.
Gleichzeitig unterhalten die EU-Mitgliedstaaten sechs mal so viele unterschiedliche Großwaffensysteme wie die USA. Hierzu zählen Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Fregatten, aber auch Infanteriefahrzeuge, U-Boote und Luft-Luft-Raketen.
Hinzu kommen unterschiedliche nationale Rekrutierungs- und Ausbildungssysteme, sowie gewachsene nationale Verteidigungs- und Einsatzphilosophien der einzelnen EU-Mitgliedstaaten.
Die Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten lehnen sich jedoch dabei im Bereich der Zulassung ihrer Luftfahrzeuge zunehmend an die Vorschriften der zivilen Luftfahrt an – dies bietet Vorteile im Einsatz sowie in der Realisierung militärischer EU-Gemeinschaftsprojekte, beinhaltet aber auch noch Herausforderungen für die Zukunft.
Derzeit handelt es sich bei Entscheidungen zur Verteidigungspolitik noch weitgehend um Entscheidungsprozesse auf der Ebene der Einzelstaaten. Um so wichtiger sind die gezielten Maßnahmen der EU, um die militärischen Fähigkeiten ihrer Mitgliedstaaten zentral und übergreifend zu harmonisieren, insbesondere dann, wenn die notwendigen Fähigkeiten aufgrund von Größe und Komplexität nicht mehr durch die Mitgliedstaaten allein erbracht werden können. Beispielhaft sei hier das European Air Transport Command (EATC) genannt, in dem sowohl Lufttransport, als auch Luft-zu-Luft-Betankungskapazitäten staatenübergreifend auf europäischer Ebene koordiniert und durchgeführt werden.
Europäische
Verteidigungsagentur
Zur Bewältigung dieses vielfältigen von Harmonisierungsbedarfs wurde im Rahmen einer Gemeinsamen Aktion des EU-Ministerrats vom 12. Juli 2004 die Europäische Verteidigungsagentur (European Defence Agency; EDA) gegründet. Ihr Ziel ist es, die Mitgliedstaaten und den Rat bei ihren Bemühungen um die Verbesserung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten im Bereich der Krisenbewältigung zu unterstützen und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in ihrer jetzigen und künftigen Form zu erhalten.
Zur Umsetzung der Bestimmungen des Vertrags von Lissabon (Artikel 42 EUV) wurde diese Gemeinsame Aktion zunächst durch einen Beschluß des Rates vom 12. Juli 2011 ersetzt, der durch den Beschluß (GASP) 2015/1835 des Rates vom 12. Oktober 2015 über die Rechtsordnung, den Sitz und die Vorschriften für die Arbeitsweise der EDA überarbeitet wurde.
Die EDA hat im Rahmen des Gesamtauftrags drei Hauptaufgaben:
1. die Unterstützung der Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten und der militärischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union,
2. die Förderung der Forschung und Technologie im Verteidigungsbereich (FuT) und Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie sowie
3. das Fungieren als Schnittstelle zur EU-Politik.
Die EDA wirkt somit als Katalysator, fördert die europäische Zusammenarbeit, startet neue Initiativen und führt Lösungen zur Verbesserung der Verteidigungsfähigkeiten herbei. Es ist der Ort, an dem Mitgliedstaaten, die bereit sind, ihre Fähigkeiten in Zusammenarbeit zu entwickeln, dies auch tun können. Darüber hinaus ist die EDA ein zentraler Vermittler bei der Entwicklung der Fähigkeiten, die zur Untermauerung der EU-gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erforderlich sind.
Aktuell laufen zahlreiche Forschungs- und Realisierungsprojekte erfolgreich bei der EDA zusammen. Darüber hinaus ist es der EDA – von der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt – in den letzten Jahren gelungen, in einem sehr komplexen Themenfeld einen wesentlichen Erfolg zu erreichen: die Schaffung eines Forums für eine EU-weite Harmonisierung der militärischen Luftfahrtzulassungsanforderungen.
Im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Bevölkerung und der allgemeinen Risikovorsorge greift der Staat mittels hoheitlicher Befugnisse durch die Zulassung von Luftfahrzeugen aktiv in die unternehmerische Freiheit von Luftfahrt- und Rüstungsbetrieben ein. Hierzu bedarf es umfassender Regelungen für die Entwicklung, Herstellung, Instandhaltung und den Betrieb von Luftfahrzeugen, die es zu erstellen und unter Berücksichtigung des technisch-organisatorischen Fortschritts fortzuschreiben gilt. Dabei ist neben einer möglichst umfassenden Standardisierung auch auf eine supranationale Harmonisierung zu achten, um den Bau und den Betrieb großteiliger Luftfahrtprojekte auch über Ländergrenzen hinweg sicherstellen zu können.
Seit über 20 Jahren werden die technischen und organisatorischen Anforderungen für die Zivilluftfahrt einheitlich auf europäischer Ebene geregelt. Obwohl Umfang und Komplexität der Regelungslandschaft in diesem Zeitraum stark gestiegen sind, bieten sich deutliche Vorteile in dieser europäischen Harmonisierung.
So unterscheiden sich die zivilen Anforderungen für die Entwicklung, Herstellung, Instandhaltung und den Betrieb von Luftfahrzeugen nicht mehr von Land zu Land, sondern alle EU-Staaten verfügen über eine harmonisierte und einheitliche Vorschriftenlandschaft. Dies erleichtert die landesübergreifende Entwicklung und den Betrieb von Luftfahrzeugen sowie die erfolgreiche Realisierung europäischer Gemeinschaftsprojekte, wie etwa des Airbus A380.
Die Vorteile dieses einheitlichen europäischen Vorgehens in der Zivilluftfahrt haben auch das Militär aufhorchen lassen. Europäische Gemeinschaftsprojekte, wie Eurofighter, A400M, Eurodrohne und FCAS, bilden das Rückgrat europäischer Luftstreitkräfte. Somit ist es bei Übungen und im Einsatz unabdingbar, daß etwa ein belgischer Mechaniker an einem deutschen A400M Instandhaltungsarbeiten durchführen und diese luftrechtlich bescheinigen kann, sowie das Luftfahrtteile und Komponenten für militärische Luftfahrzeuge länderübergreifend instandgehalten und genutzt werden können.
So wurde 2008 unter dem Dach der European Defence Agency (EDA) das sogenannte „MAWA-Forum“ (Military Airworthiness Authority) gegründet. Dieses Forum setzt sich aus den militärischen Luftfahrtbehörden der EDA-Mitgliedstaaten zusammen und soll neben zahlreichen anderen Zielen gemeinsame Standards für militärische Zulassungsaktivitäten schaffen. Zudem werden in den einzelnen Arbeitsgruppen des MAWA-Forums Grundlagen für Betriebsgenehmigungen solcher Organisationen gelegt, die in die Entwicklung, Herstellung und Instandhaltung von militärischen fliegenden Waffensystemen eingebunden sind.
Im November 2009 erklärten die Verteidigungsminister der EDA-Mitgliedstaaten ihre volle politische Unterstützung für die Erstellung und Umsetzung dieser Standards auf nationaler Ebene.
Als Grundlage hierfür dienten die gut etablierten und stabilen EU-Vorschriften für die Zivilluftfahrt. Aus diesen entwickelte das MAWA-Forum die sogenannten „European Military Airworthiness Requirements“ (EMAR). Sie setzen sich zusammen aus Vorschriften für die Entwicklung, Herstellung und Instandhaltung von militärischen Luftfahrzeugen.
Jedoch hat das MAWA-Forum keinerlei Befugnisse, rechtsverbindliche Vorschriften zu erlassen. So stellen die EMAR lediglich eine Handlungsempfehlung für die Regelungen des militärischen Zulassungswesens der einzelnen Mitgliedstaaten dar und werden nicht automatisch in Kraft gesetzt, wie etwa die zivilen EU-Vorschriften. Dies hat zur Folge, daß jeder einzelne Mitgliedstaat das nationale Derivat der EMAR im eigenen Land gesondert in Kraft setzen muß. In vielen Ländern wurde die EMAR im identischen Wortlaut national umgesetzt. Deutschland hat die EMAR in die deutsche Sprache übersetzt und bestimmte Teile der Vorschriften entfernt, geändert und aufgrund nationaler deutscher Besonderheiten ergänzt.
Aktuell haben nahezu alle EDA-Mitgliedstaaten die EMAR erfolgreich national umgesetzt. Auch Staaten außerhalb der EU, wie etwa Neuseeland oder Australien, haben eine jeweils nationale Version der EMAR für ihr militärisches Zulassungswesen bereits erfolgreich und vollständig implementiert.
Obwohl bereits seit mehr als 15 Jahren an der EMAR-Implementierung in Streitkräften der EU gearbeitet wird, ist sie bis heute noch nicht abgeschlossen. Die Herausforderungen in der Implementierung bestimmen verschiedene, teils weit in das Beschaffungs- und Betriebssystem der einzelnen Nationen reichende Faktoren:
Vorbild zivile
Luftfahrt
Die EMAR basieren auf zivilen Luftfahrt- Standards. Diese reichen regelmäßig nicht aus, um eine Zulassung militärischer Luftfahrzeuge in Gänze zu ermöglichen. Besondere Übungs- und Einsatzerfordernisse wie zum Beispiel Luft-zu-Luft-Betankung, taktischer Tiefflug, Formationsflug sowie der Einsatz von Wirkmitteln erfordern technisch komplexe Lösungen, für die – aufbauend auf den zivilen Zulassungsstandards – spezifische militärische Zulassungsverfahren zu entwickeln und fortzuschreiben sind.
Auch decken die EMAR aktuell nur zwei der 18 geltenden EU-Durchführungsverordnungen im Bereich der Luftfahrt ab. Für einen systemischen Ansatz ist dies zu wenig, und es bedarf weiterer Anstrengungen, auch den verbleibenden 16 zivilen EU-Anforderungen geeignete militärische Vorgehensweisen gegenüberzustellen. Dies erfolgt bis heute ausschließlich auf nationaler Ebene.
Während die nationalen EMAR in anderen EDA-Mitgliedstaaten in geltendes staatliches Recht umgewandelt werden, haben die EMAR zum Beispiel in Deutschland keinen rechtsverbindlichen Charakter. Sie sind lediglich interne Verwaltungsvorschriften, die nur durch ein vertragliches Verhältnis und zusätzliche Vertragsanlagen mit der Bundeswehr Gültigkeit für die zivile Industrie erlangen.
Trotz der zahlreichen Herausforderungen ist die weitere Harmonisierung der europäischen militärischen Zulassungsanforderungen in der Luftfahrt alternativlos, um den Anforderungen aus der veränderten Sicherheitslage multinational gerecht werden zu können. Dabei legen die EMAR einen zentralen Grundstein zur effizienten und effektiven Realisierung militärischer Luftfahrtprojekte, den es konsequent und durch alle Beteiligten gemeinschaftlich umzusetzen und weiterzuentwickeln gilt.