Der Gründer der Paneuropa-Union und Visionär eines politisch geeinten Europa gehört zu den interessantesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Franz Bauer, Heimatortsbetreuer der vertriebenen Sudetendeutschen aus dem böhmischen Ronsperg, wo die Familie von Richard Coudenhove-Kalergi seit dem 19. Jahrhundert ansässig war, ist als junger Mann immer wieder persönlich den Mitgliedern dieser außergewöhnlichen Familie begegnet.
Das Geschlecht der Coudenhove entstammt nordbrabantischem Uradel und wird 1240 mit Theodoricus miles de Koudenhove (Ritter von Koudenhove) erstmals urkundlich erwähnt.
In den niederländischen Freiheitskriegen kämpften die Coudenhove an der Seite der Habsburger. Im 18. Jahrhundert kamen sie über den mit ihnen verwandten kurfürstlichen Hof in Mainz nach Österreich. Am 13. Oktober 1790 wurde die Witwe von Georg Ludwig Baron von Coudenhove in den Reichsgrafenstand aufgenommen. Von daher stammt auch das Wappen der Coudenhove: In Gold ein roter Schrägstrom, auf dem Helm mit rotsilbernem Wappenmantel ein Eberkopf.
Die erste Gräfin Coudenhove, eine geborene Hatzfeld-Wildenburg, war eine kluge, charmante und politisch tätige Frau. Ihr ist auch Johann Wolfgang von Goethe im November 1792 in Pempelfort bei Düsseldorf begegnet. Er berichtet darüber in seiner autobiographischen Schrift „Campagne in Frankreich“: „Frau von Coudenhove, eine schöne geistreiche Dame, sonst die Zierde des Mainzer Hofes, hatte sich auch hierher geflüchtet. ... Frankfurt war noch von den Franzosen besetzt, die Kriegsbewegungen hatten sich zwischen die Lahn und das Taunusgebirge gezogen .... So erinnere ich mich, daß an dem Abendtische der Frankfurter Bürger mit Ehren gedacht ward, sie sollten sich gegen (den französischen General) Custine männlich und gut betragen haben; ... Frau von Coudenhove, in dem Enthusiasmus, der sie sehr gut kleidete, rief aus, sie gäbe viel darum, eine Frankfurter Bürgerin zu sein. Ich erwiderte, das sei ein Leichtes; ich wisse ein Mittel, werde es aber als Geheimnis für mich behalten. Da man nun heftig und heftiger in mich drang, erklärt’ ich zuletzt, die treffliche Dame dürfe mich nur heiraten, wodurch sie augenblicklich zur Frankfurter Bürgerin umgeschaffen werde. Allgemeines Gelächter!“
Der älteste Sohn dieser Gräfin Coudenhove immatrikulierte 1816 im Königreich Bayern in der Grafenklasse und erhielt 1834 das böhmische Inkolat. Franz Ludwig, 1780 in Mainz geboren, begründete die zweite Linie der Coudenhove. Er heiratete 1806 Auguste von Löwenstern, eine baltische Baronin schwedischer Herkunft. Franz Ludwig war Adjudant bei Erzherzog Karl, der 1809 Napoleon in der Schlacht bei Aspern die erste Niederlage beibrachte.
Karl Maria, der älteste Sohn von Graf Franz Ludwig Coudenhove und Auguste, geb. Baronin Löwenstern, war österreichischer Feldmarschalleutnant. Er rettete am 3. Juli 1866 mit einer der größten Kavallerieattacken des 19. Jahrhunderts bei Königgrätz die österreichische Armee vor der Vernichtung. Sein Bruder Franz Karl, geb. 1825, wurde Diplomat. Er vermählte sich 1857 in Paris mit der 1840 in Petersburg geborenen Marie von Kalergis.
Die Kalergis sind griechischen Ursprungs und leiten ihre Abstammung von der byzantinischen Kaiserdynastie der Phokas her. Der Name „Kalergis“ soll an den Friedensvertrag erinnern, den Alexis Phokas-Kalergis mit Venedig geschlossen hat: „Wegen der schönen Tat des Friedens“ (kalon = schön, ergon = die Tat).
Im 18. Jahrhundert wanderte ein Kalergis nach Rußland aus. Er wurde General der Zarin Katharina II. und erwarb großes Vermögen. Einer Ehe mit der Norwegerin Jürgensson entstammt ein Sohn namens Johannes. Dieser vermählte sich mit der Gräfin Marie Nesselrode, einer Nichte und Adoptivtochter des allmächtigen russischen Staatskanzlers.
Bald aber trennten sich die Gatten. Johann Kalergis ging nach England. wobei er das „s“ seines Namens fallen ließ. Marie Kalergis zog nach Paris.
Dort wurde sie eine gefeierte Persönlichkeit. Ihre Heimat war Europa. Sie fühlte sich auch in Petersburg, Warschau und Baden-Baden zu Hause. Sie galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Der Ruf ihrer Schönheit ist durch zwei berühmte Gedichte in die Weltliteratur eingegangen, ein französisches und den „Weißen Elefanten“ von Heinrich Heine. Als sie den Dichter an seinem Krankenlager in Paris besuchte, soll er ausgerufen haben: „Das ist keine Frau, sondern eine Kathedrale der Liebe!“
Marie Kalergis war nicht nur schön, sie war zudem geistreich und hochherzig. Sie pflegte Umgang mit vielen berühmten Zeitgenossen, darunter Balzac, Chateaubriand, Musset, Mérimée und Delacroix. Als eine Lieblingsschülerin von Chopin war sie überdies eine hinreißende Pianistin. Als Richard Wagner in Paris Mißerfolg hatte, deckte sie spontan das Defizit seiner Konzerte. Zeitlebens blieben sie Freunde. Auch Franz Liszt zählte sie zu ihren Freunden. Er komponierte, als sie starb, die „Elegie an Marie Kalergis“.
Sie hatte eine einzige Tochter, Marie Kalergi, die in einem Pariser Kloster erzogen wurde. Diese heiratete Franz Karl Graf Coudenhove. Nach der Eheschließung erwarb das Paar drei Güter: das Donauschloß Ottensheim in Oberösterreich, die Herrschaft Zamuto im Urwald der ungarischen Karpaten und 1864 Ronsperg. Franz Karl war 1871 kurzzeitig katholisch-konservativer Landtagsabgeordneter und ab 1881 Mitglied des Herrenhauses, des Oberhauses des österreichischen Reichsrats. Siebenunddreißigjährig starb Marie Gräfin Coudenhove am 11. März 1877 in Ronsperg und wurde in der Kirche bestattet. Graf Franz starb am 16. Juni 1894 in Ottensheim und wurde dort begraben.
Sein Sohn, Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi (1856-1906), der als österreichischer Diplomat zeitweise in Athen, Rio de Janeiro, Konstantinopel und Buenos Aires lebte, kehrte nach dem Tod seines Vaters 1896 nach Europa zurück, um die väterlichen Güter zu verwalten. In den drei Jahren in Konstantinopel hatte er sich mit dem Islam beschäftigt und lernte Türkisch, Arabisch und Hebräisch. Er war ungewöhnlich sprachbegabt und beherrschte schließlich achtzehn Sprachen.
Von Buenos Aires wurde er nach Tokio versetzt. Dort verliebte er sich als 33jähriger in die 18jährige Mitsuko Aoyama. Die erste Begegnung geschah nach der Schilderung des japanischen Kulturhistorikers Ki Kimura so: „Graf Heinrich Coudenhove ritt oft zu Aoyamas Antiquitäten-Geschäft in Itschifuohaschi, Azabu, unweit von seiner Gesandtschaft. An einem kalten Wintertag, als er wieder hinritt, glitt sein Pferd über einem Eisstück aus. Es warf Heinrich ab. Mitsuko war zufällig Zeugin dieses Unfalls. Sie lief aus dem Haus, um ihm zu helfen. Ein Arzt wurde gerufen. Auf den 33jährigen Diplomaten, der in diesem fremden Land ein einsames Junggesellenleben führte, machte Mitsukos Fürsorge einen tiefen Eindruck.“ Bald erhielt Heinrich von Kichatschi Aoyama, ihrem Vater, die Erlaubnis, seine Tochter an der Gesandtschaft anzustellen. Damals gab es für junge Mädchen kaum Schulen. Es bestand, vor allem in Kaufmannskreisen, ein Vorurteil gegen den Schulbesuch ihrer Töchter. Sie zogen es vor, die Mädchen zur häuslichen Mitarbeit in Familien der obersten Gesellschaftsklasse unter zubringen, um ihnen vornehme Sitten und gesellschaftliche Umgangsformen beizubringen. Kurze Zeit darauf bat Heinrich Mitsukos Vater um die Hand seiner Tochter.
Kichatschi lehnte zunächst ab, dann aber willigte er doch ein. Für Graf Heinrich bedeutete es, daß er seine diplomatische Karriere aufgab. Sein Sohn Richard notierte später in seinen Memoiren: „Er wußte, daß er fortan vielleicht ohne Karriere leben konnte, aber nicht mehr ohne Mitsuko.“ Nach Überwindung aller Schwierigkeiten wurde das Paar in der Kathedrale von Tokio vom Erzbischof getraut.
Vor der Abreise mit ihrem Gemahl nach Europa wurde Mitsu von der Kaiserin zu einer Privataudienz empfangen und mit einem elfenbeinernen großen Fä-cher mit langen Quasten, gold und weiß, beschenkt. Die Kaiserin trug ihr dabei auf, als Gräfin Coudenhove in Europa dem japanischen Kaiserreich Ehre zu machen. Und Mitsu hat den „hohen Befehl Ihrer Majestät“ und ihren Schwur stets „wie ein Morgengebet erneuert“.
Graf Heinrich verstand sich nach seiner Rückkehr nach Europa nicht nur als Gutsherr, sondern vor allem als Studierender und Lernender. Er immatrikulierte an der Prager Universität für Philosophie und semitische Philologie. Mit dem Buch „Das Wesen des Antisemitismus“, das zu einem Standardwerk über dieses Thema werden sollte, wurde er promoviert.
Auf Schloß Ronsperg pflegte er Geselligkeit und geistigen Austausch in einer weltoffenen Atmosphäre. Menschen aus Nah und Fern, Politiker, Philosophen, Adelige und Priester, waren hier Gäste, ebenso Vertreter verschiedener Nationalitäten und Religionen. Der Graf war gläubiger Katholik, aber aufgeschlossen gegenüber anderen Religionen, vor allem war er fasziniert vom Buddhismus, den er in Japan kennengelernt hatte.
Richard beschreibt in seinen Lebenserinnerungen sehr ausführlich das Leben auf Schloß Ronsperg. „Es war durch und durch kosmopolitisch. Der japanischen Hausfrau stand eine ungarische Gesellschafterin zur Seite; eine tschechische Malerin führte sie in die europäische Malkunst ein. Der Kammerdiener meines Vaters war Armenier, dessen Sohn war einer seiner Sekretäre. An der Spitze des Sekretariats stand ein Bayer. Zu den Tischgenossen zählten unsere Gouvernanten, eine Engländerin und eine Französin, oft auch der türkische Lehrer meines Vaters, ein mohammedanischer Albanese. Mein Vater sprach mit meiner Mutter immer japanisch, türkisch mit seinem Kammerdiener Babik Kaligian. Uns gab er persönlich Stunden im Russischen und im Ungarischen. Während eines halben Jahres war ein junger Inder unser Gast, Abdullah Mahmun Sohraworthy, der mit meinem Vater Hindostani sprach. Er war ein Nachkomme des Kalifen Abu Bekr und schrieb an einem Buch „Worte Moharnmeds“, dazu bestimmt, die Weisheit Mohammeds den Christen zu vermitteln. Dies Büchlein fand sich in der Tasche Leo Tolstois, als er sein Schloß verließ, um einsam zu sterben.
Sohraworthy, den wir Kinder liebten, plante, die 300 Millionen Mohammedaner politisch zu einer großen Bewegung zusammenzuschließen. Er sprach von der Pan-Islam-Bewegung, deren Gründer und Generalsekretär er einige Jahre später werden sollte. Sicher hat diese Bewegung mitgewirkt, daß ich mich fünfzehn Jahre später entschloß, die Pan-Europa-Bewegung ins Leben zu rufen. Zu den interessanten Gästen Ronspergs gehörte auch der weise Oberrabbiner Pilsens, Doktor Poznansky, der meinem Vater bei seinen Talmud-Studien zur Seite stand.
So war Schloß Ronsperg für mich die erste Schule meines späteren Wirkens. Eine Oase kosmopolitischer Geister – mitten in einer Welt, die immer stärker von Nationalismus besessen war – bis sie in zwei Weltkriegen zusammengebrochen ist.“ Im Jahre 1906 starb Graf Heinrich knapp fünfzigjährig völlig unerwartet, wahrscheinlich an einem Herzinfarkt. Er wurde auf dem neuen Friedhof von Ronsperg beerdigt, auf dem sich heute noch sein Grab befindet.
Zum Verhältnis des Vaters zu seiner japanischen Mutter meinte der Sohn Richard, daß nicht nur der Vater das anmutige Wesen mit der ganzen Leidenschaft seiner suchenden Seele geliebt habe, auch die Mutter habe ihn geliebt, wie ein Held sein Abenteuer liebt. Für sie war er der Vertreter des großen Kaisers im Westen.
Die Tochter Ida Friederike hat die Beziehung ihrer Eltern anders wahrgenommen. Ihre Mutter sei nicht gefragt worden, ob sie einen Europäer heiraten wolle, einen der weißen Teufel mit roten Haaren und Fischaugen. Später habe sie gesagt: „Es war ärger als der Tod. Aber japanische Mädchen konnten gehorchen.“. Und Ida Friederike lehnt auch die oftmals geäußerte Meinung ab, ihre Mutter sei eine japanische Prinzessin gewesen, sie meint vielmehr: „Sie war eher eine Geisha, als eine Prinzessin.“
Mitsuko war in Europa wohl nie glücklich. Sie ist aber auch nie mehr nach Japan gereist, obwohl sie es sich hätte sicher leisten können. Sie lebte auf Schloss Ronsperg – verehrt und geliebt von ihrem Mann – nicht als Schlossherrin, sondern eher als Schulmädchen, lernte Sprachen und europäische Umgangsformen. Nach den beiden Söhnen Johannes und Richard, die sie aus Japan mitgebracht hatte, gebar sie schnell hintereinander noch fünf Kinder. Zwei Buben und drei Mädchen. Als ihr Mann starb, war sie 32 Jahre alt.
Nun veränderte sich ihr Wesen: Bisher sanftmütig und geduldig, wurde sie hart und despotisch. Am meisten hatten unter ihrem Despotismus ihre Töchter zu leiden, denn sie versuchte diese „zu asiatischer Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung zu erziehen und zu blindem Gehorsam“. Auch die Söhne hatten ihre Probleme mit ihrer Mutter.
Unklar bleibt, warum die Familie in das nahe gelegene ehemalige Augustinerkloster Stockau, vier Kilometer von Ronsperg entfernt, umsiedelte. Waren dort die Räumlichkeiten kleiner und bequemer?
Später, etwa 1924, zog Mitsuko nach Mödling bei Wien, wo ihre Tochter Olga sie bis zu ihrem Tod am 21. August 1941 betreute.
Als erstes Kind von Graf Heinrich und seiner Frau Mitsuko Aoyama war noch in Tokio 1893 Graf Johannes zur Welt gekommen. Graf Johannes, meist Hans genannt, in der Familie Hansi, übernahm nach Erreichen der Volljährigkeit die Leitung der väterlichen Güter. 1915 heiratete er Lilly Steinschneider-Wenckheim, die Tochter eines jüdischen Fabrikbesitzers aus Ungarn. Sie war die erste Fliegerin in Österreich-Ungarn. Erst nach zwölf Jahren Ehe wurde dem gräflichen Paar 1927 eine Tochter geboren: Maria-Elekta, genannt Marina.
Noch kurz vor Ende der österreichischen Monarchie wurde Johannes Graf Coudenhove-Kalergi am 24. April 1918 das Prädikat „von Ronspergheim“ verliehen.
Graf Hans war wohl etwas romantisch veranlagt und hatte viele, bisweilen auch seltsame Ideen. Er galt als exzentrische Persönlichkeit. So baute er gerne Türme. 1936 errichtete er auf dem Schloß einen Turm. Auch auf das Gasthaus Maa, das er in den dreißiger Jahren erwarb und das dann „Hotel Hubertus“ hieß, setzte er ein Türmchen. Damit erhielt Ronsperg eine neue Silhouette. Zum Geburtstag ließ er sich einmal einen Kachelofen anfertigen, der ihn selbst überlebensgroß darstellte. Unter dem Pseudonym „Duca di Centigloria“ schrieb er einen skurrilen Menschenfresserroman mit dem Titel „Ich fraß die weiße Chinesin“, der im Merlinverlag erschien und 1994 sogar eine zweite Auflage erlebte. Nach dem Krieg wurde er wie viele Deutsche, Lehrer, Post- und Bahnbeamte, ins Lager Chrastavice bei Taus gebracht, wo er als Adeliger besonders gedemütigt wurde.Nach seiner Freilassung oder Flucht kam er nach Regensburg. Dort fand er beim Fürsten Thurn und Taxis Unterstützung. Nach der Scheidung von seiner Frau Lilly heiratete er die Schauspielerin Ursula Grohs.
Graf Hans verstarb 1965 und wurde auf dem Evangelischen Friedhof beerdigt. Seine letzte Ruhestätte existiert heute nicht mehr. Gräfin Lilly wurde 1975 in Rom beigesetzt. Seine zweite Frau, Gräfin Ursula, fand nach ihrem Tod 1989 ein Urnengrab am Dreifaltigkeitsbergfriedhof in Regensburg Richard, der Zweitälteste, wurde 1894 ebenfalls noch in Tokio geboren und lebte dann mit den Eltern in Ronsperg. Sein Lebenswerk, die Gründung der Paneuropa-Union und sein stetes Eintreten für eine politische Einigung Europas, ist für ihn nicht denkbar ohne die kosmopolitische Atmosphäre im Schloß Ronsperg,. Es war eine Welt, in der der Nationalismus nur als ein „Vorurteil der Halbgebildeten“ galt. Für ihn wie für seinen Vater war die nationale Frage eine Frage der Bildung, denn ,,Nationen sind bewußte Kultur- und Schicksalsgemeinschaften“, insofern bedeutet die Vereinigung Europas „die Wiedergeburt Europas als Nation“. Hier sollte der Schritt ,,aus dem völkischen Nationalismus zum europäischen Patriotismus“ getan werden.
Am 27. Juli 1972 verstarb er in Schruns in Vorarlberg, bestattet wurde er in Gstaad im Berner Oberland, wo er in den dreißiger Jahren gelebt hatte.
Außer den beiden in Tokio geborenen Söhnen hatten Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi und seine japanische Gemahlin noch zwei jüngere Söhne, Gerolf und Karl Heinrich, und drei Töchter. Da die Familie nach dem Tod von Graf Heinrich in Stockau wohnte, waren die jüngeren Mitglieder den Ronspergern kaum bekannt.
Ich hörte von Gerolf zum ersten Mal, als ich als Student einige Wochen bei Fürst Hohenlohe-Jagstberg zur Betreuung der Kinder verbrachte. Hier erzählte mir die Fürstin in einem Gespräch, daß Gerolf der Netteste der Grafen Coudenhove sei. Er war auch für seine Mutter der „Paradesohn“, wie Karl Heinrich in seiner Broschüre „Da fällt mir meine Geschichte ein“ bemerkte. Gerolf, in der Familie Rolfi genannt, war der einzige der vier Brüder, der immer korrekt gewesen sei, standesgemäß geheiratet habe, freiwillig im Ersten Weltkrieg eingerückt und bis zum Ende des Krieges an der Front gestanden sei.
Graf Gerolf wurde 1896 als erster der „Böhmen“, wie Mitsuko ihre in Ronsperg geborenen Kinder nannte, geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und war bis zum Jahre 1941 Privatsekretär und Pressechef der japanischen Botschaft in Prag. Dann wurde er Lektor der japanischen Sprache und Geschichte an der Karls-Universität Prag und Vizepräsident des orientalischen Institutes. Heute noch ist sein Bändchen mit Übersetzungen von japanischen Gedichten unter dem Titel „Japanische Jahreszeiten“ im Manesse Verlag Zürich lieferbar.
In den Jahren 1944 und 1945 war er Vertreter der Exportindustrie in Prag. Verheiratet war er mit Sophie Gräfin Pállfy von Erdöd und hatte vier Kinder. Nach dem Krieg wurde er wie alle Deutschen aus Prag vertrieben, ging nach Österreich und starb im Jahre 1978 in London.
Karl Heinrich, genannt Ery, war das jüngste Kind von Heinrich Graf Coudenhove und Mitsuko. Geboren wurde er 1903. Er fühlte sich als Außenseiter und heiratete in Sydney Anita Neuber, eine Künstlerin, die vor allem Schmuck und Porträtbüsten herstellte. Ihr Leben führte die beiden durch die ganze Welt: Australien, Paris, Wien, Athen, Venedig und die Schweiz.
Seine Kindheit verbrachte er vor allem in Stockau, 1913 kam er nach Wien ins Theresianum. Die Ferien verlebte er in Stockau und später auch bei seinem Bruder Hans im Schloß in Ronsperg. Mit seinen Brüdern hielt er sich immer wieder im Jagdschloß Dianahof auf. „Die dort verbrachten Stunden und Tage gehören mit zu meinen schönsten Jugenderinnerungen“, so schreibt er in seiner autobiografischen Broschüre. Seit 1938 lebte er in Athen. Allerdings kam er fast jährlich im Sommer nach Mitteleuropa. Hochbetagt starb Ery 1987 in Wien.
Nach den ersten drei Buben Johannes, Richard und Gerolf wurden dem gräflichen Paar drei Mädchen geboren: Elisabeth (Elsa), Olga und Ida Friederike. Elsa war drei, Olga eineinhalb Jahre älter als Ida Friederike. Elsa und Ida verband eine Art Seelenverwandtschaft, Olga, das „Dummerle“, war davon ausgeschlossen. Mit Olga hat Ida Friederike sich nie verstanden. Sie mochten sich nicht, und Ida schreibt später (1965) noch: „Es gibt niemand, dem gegenüber ich mich so chronisch schuldig fühle wie ihr“. Andere fanden Olga „sehr nett, etwas schrullig zwar, aber liebenswert“.
Und sie hat die rührenden „Erinnerungen an Mama“ verfaßt. Sie zeigen ein anderes Bild von Mitsuko, als es in manchen Briefen der Kinder zu finden ist. So lesen wir in diesen Erinnerungen, wie sehr sie noch in der Welt ihrer japanischen Heimat gedacht und gelebt habe. „Wie oft erzählte Mama, wie bitterschwer es ihr als junger Mutter fiel, ihr Neugeborenes jedesmal in Weiss gehüllt zu sehen“ – (Weiß ist in Japan die Farbe des Todes).
Olga blieb bei ihrer Mutter bis zu deren Tod am 27. August 1941. Anschließend kam sie nach Ronsperg, wo ich sie noch kennengelernt habe. Nach dem Kriege hat sie einiges durch die Tschechen erleiden müssen: Gefängnis und Zwangsarbeit. Sie starb 1976 im Allgäu.
Erfreulicher war das Verhältnis von Ida Friederike zu Elsa. Geboren 1898, war sie der „ergänzende Gegensatz“ zu Ida – immer adelig und vornehm gekleidet, während Ida in jugendbewegten Zeiten verhatschte Schuhe und verzipfelte Röcke trug. Elsa war, wie Ida sie schilderte, „ein Mensch von ganz unbändigem Lebenshunger“. Einsam und allein starb sie 1936 in einer Kleinstwohnung in Paris an einem Gehirnschlag.
Das Bändchen „Des Anderen Last – Ein Gespräch über die Barmherzigkeit“, 1939 erschienen, hat Ida Friederike dem Andenken an ihre verstorbene Schwester Elsa gewidmet.
Ida Friederike war die jüngste der Schwestern. Sie wurde am 2. Dezember 1901 geboren. Da die Familie nach dem plötzlichen Tod des Vaters 1906 nach Stockau zog, verbrachte Ida Friederike dort bis 1922 ihre Kinder- und Jugendzeit. Und in Stockau wurde ihr, wie sie selbst bekennt, im Umfeld des ehemaligen Augustinerklosters die „Leidenschaft für Geschichte, Kirchengeschichte, Ordensgeschichte, Volkskunde“ geschenkt.
Im Pensionat der Englischen Fräulein in St. Pölten erlebte sie ein religiöses Erwachen. Beim Studium in Wien fand sie auch Zugang zur religiösen Jugendbewegung des „Bundes Neuland“. Ihr Engagement beim „Quickborn“ führte sie zur Begegnung mit Romano Guardini. Sie wurde Mitarbeiterin der Rothenfelser Zeitschrift „Die Schildgenossen“, und aus ihrem Artikel über die heilige Elisabeth erwuchs 1931 zum Elisabeth-Jubiläum ihr erstes Buch „Gespräch über die Heiligkeit“. 1935 heiratete sie den Ingenieur Carl-Josef Görres.
Ida Friederike Görres nahm an der Würzburger Synode teil. Bei einer Sitzung am Vormittag des 14. Mai 1971 brach sie zusammen, am folgenden Tag starb sie im Alter von 69 Jahren. Es war ihr Wunsch, daß man sie in einem weißen Kimono und mit einem „weißen“ Requiem“ auf dem Bergfriedhof in Freiburg begrabe.Trotz des gespannten Verhältnisses zu ihrer Mutter blieb sie als Tochter einer Japanerin zeitlebens im Bannkreis dieser Kultur.
Und mit kritischer Liebe stand sie zeitlebens zur Kirche, auch wenn sie immer wieder mißverstanden wurde – so etwa mit ihrem „Brief über die Kirche“ in den Frankfurter Heften im Oktober 1946, wo sie auf Mißstände in der Kirche aufmerksam machte.
Maria-Elekta, genannt Marina, war die einzige Tochter des Grafen Johannes Coudenhove-Kalergi, seit 1918 auch von Ronspergheim, und seiner Ehefrau Lilly, geborene Steinschneider-Wenckheim. Sie wurde am 23. Juni 1927 geboren und wuchs im Schloß Ronsperg auf. Hier war sie auch bekannt als Pixi oder auch Piggy. Nach dem Krieg landete die Comtesse in Bodenwöhr in der Oberpfalz, dann lebte sie einige Jahre bei ihrem Vater in Regensburg. Über Rom, wo ihre Mutter nach der Scheidung von Graf Johannes lebte, ging sie in die USA. Im Jahre 1954 heiratete sie in Phoenix, Arizona, den Amerikaner Daum Taymond Witham. Nach wenigen Jahren wurde sie von ihm geschieden und wohnte dann allein in Los Angeles, wo sie am 20. August 2000 einem Krebsleiden erlag.
In den Kindern und Enkeln von Graf Gerolf und Gräfin Sophie lebt das Geschlecht der Coudenhove weiter, wenn auch ohne den Grafentitel, da 1919 in Österreich alle Adelstitel abgeschafft wurden. Hans-Heinrich wurde 1926 in Prag geboren und starb 2004 in London. Er hat eine Tochter und einen Sohn. Karl Jakob kam 1928 in Prag zur Welt, lebt in Wien und hat zwei Söhne. Barbara, geboren 1931 ebenfalls in Prag, wurde Journalistin, vor allem bekannt als ORF-Korrespondentin in der Tschechoslowakei. 1964 heiratete sie den Reformkommunisten Franz Marek (gest. 1979). Sie erhielt den liebevollen Spitznamen „Rote Gräfin“. Der jüngste Sohn Michael wurde 1937 in Prag geboren und studierte an der Kunstgewerbeschule in Graz und an der Akademie für Bildende Künste in Wien. Er hat zwei Kinder und lebt heute als Maler vor allem in Japan. Er hoffte, im Schloß seiner Großeltern in Ronsperg ein Atelier zu erhalten. Allerdings ist hier die begonnene Renovierung völlig ins Stocken geraten, sodaß auch die Rückkehr der Coudenhove nach Ronsperg auf sich warten läßt. Die Paneuropa-Union Richard Coudenhove-Kalergis aber hält die Erinnerung an Ronsperg wach, wo die älteste europäische Friedensbewegung ihren Anfang nahm.