100 Jahre Paneuropa in Berlin: "Paneuropa hat das Erbe Europas gerettet"

19.02.2023

Am 15. November 1922 veröffentlichte Richard Coudenhove-Kalergi im bedeutendsten liberalen Presseorgan der Weimarer Republik, der Vossischen Zeitung, erstmals seinen Aufruf „Paneuropa. Ein Vorschlag“, in dem er seine Vision eines geeinten Europa entwickelte. 100 Jahre später beflügelte dies zwei befreundete Länder und ihre Botschafter in der Bundeshauptstadt, in ihren Räumen im November 2022 zwei einzigartige Geburtstagsfeiern für die Paneuropa-Union Deutschland auszurichten: die Tschechische Republik und Kroatien.

 

Festakt im Kinosaal der Tschechischen Botschaft: v.r.n.l. Bernd Posselt, Hausherr Tomáš Kafka, Benedikt Praxenthaler, Bischof Franjo Komarica, Masumi Muraki sowie die Bundestagsabgeordneten Erhard Grundl (Grüne), Rita Hagl-Kehl (SPD), Christian Hirte (CDU), Volker Ullrich (CSU) und Volker Mayer-Lay (CDU).
Festakt im Kinosaal der Tschechischen Botschaft: v.r.n.l. Bernd Posselt, Hausherr Tomáš Kafka, Benedikt Praxenthaler, Bischof Franjo Komarica, Masumi Muraki sowie die Bundestagsabgeordneten Erhard Grundl (Grüne), Rita Hagl-Kehl (SPD), Christian Hirte (CDU), Volker Ullrich (CSU) und Volker Mayer-Lay (CDU).

Der Auftakt in der Kroatischen Botschaft war von der Anerkennung des jüngsten EU-Mitgliedstaates für das geprägt, was die älteste europäische Einigungsbewegung in den letzten Jahrzehnten für die Unabhängigkeit und den EU-Beitritt dieses Landes geleistet hat. Botschafter Gordan Bakota dankte den Paneuropäern, nicht zuletzt Bernd Posselt, für diesen Einsatz und überbrachte die Grüße zweier Paneuropäer an der Spitze der kroatischen Regierung: Premierminister Andrej Plenković und Außenminister Gordan Grlić Radman. Jetzt gelte es gemeinsam darauf zu drängen, daß die EU diesen Weg weitergeht: Durch rasche Integration des Westlichen Balkan und durch mehr Souveränität in Überlebensfragen wie der Energiepolitik, zu deren Lösung Kroatien Erhebliches beitragen könne, etwa durch den Flüssiggas-Terminal auf der Insel Krk.
Der Generalsekretär der internationalen Paneuropa-Union, Prof. Pavo Barišić, ehemaliger kroatischer Wissenschaftsminister, nannte als Beispiele für Staaten, die versuchen, Europa in Instabilität zu versetzen, Rußland, die Türkei und Serbien. Auch die Gefahren, die von China ausgingen, seien lange unterschätzt worden. Dem müsse die Europäische Union geschlossen und mit Zukunftsmut entgegentreten, ohne die Geschichte zu vergessen. Er zitierte Nietzsche mit dem Satz: „Alles Zukünftige beißt das Vergangene in den Schwanz.“ Europa entstehe nicht von selbst, sondern bedürfe des intensiven Engagements.
Der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland, Bernd Posselt, würdigte in seiner Festrede die Motorfunktion Kroatiens bei der europäischen Integration und sprach sich für mehr präventive Diplomatie, also vorausschauende Außenpolitik aus, „die nicht erst reagiert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern schon vorher.“
In zwei anschließenden Kurzreferaten berichteten Bischof Franjo Komarica über die Lage in seinem Bistum in Bosnien-Herzegowina und der päpstliche Nuntius Nikola Eterović, ebenfalls ein Kroate, über christliche Bestrebungen, in Kriegssituationen wie in den neunziger Jahren und heute Frieden zu stiften.
Beim zentralen Festakt am nächsten Tag im Kinosaal der Tschechischen Botschaft begrüßte der Hausherr Tomáš Kafka die rund 170 Paneuropäer aus vielen Nationen als „Bernds Freunde und Freunde von Mitteleuropa“ und würdigte Posselts Rolle im jahrzehntelangen Prozeß der deutsch-tschechischen Verständigung. Diese Feier, die auf seine Initiative zurückging, sei „nicht eine gewagte Fusion zwischen Tschechischer Botschaft und Paneuropa-Union, sondern ein Stück Normalität, mit dem wir viel zu lange gewartet haben.“ Die besondere mitteleuropäische Identität, aus der die Paneuropa-Bewegung hervorgegangen sei, beinhalte ein unverzichtbares kulturelles Erbe, das „in der Verfolgung durch die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts von der Paneuropa-Union mutig gerettet und durchgehalten wurde. Die Anziehungskraft Europas hängt von Menschen ab.“
Bernd Posselt würdigte die Einladung Kafkas als „einzigartigen Akt der Freundschaft“. Die Prager Regierung übe derzeit nicht nur „eine erstklassige EU-Ratspräsidentschaft“ aus, Böhmen sei zudem „die Heimat Coudenhove-Kalergis und damit der Europäischen Idee an sich.“
Die Paneuropa-Union sei die Bewegung für einen europäischen Patriotismus, der „die nationalen Patrotismen ergänzt und krönt“, wie dies Coudenhove formuliert habe. Der deutsche Paneuropa-Präsident zitierte den Osnabrücker Staatsmann Justus Möser aus dem 18. Jahrhundert, der Patriotismus nicht national definiert habe, sondern als die Bereitschaft, dem Gemeinwesen zu dienen, auch wenn man keinen persönlichen Vorteil davon habe. Diesen Geist brauche Europa in seiner schwersten Krise seit 1945. Man könne sich dabei am Mut Coudenhoves orientieren, der gegen einen anderen Bestseller, den „Untergang des Abendlandes“ von Oswald Spengler, 1923 das Buch „Pan-Europa“ veröffentlicht habe, „um den Untergang abzuwenden“.  
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion, die der Bundesvorsitzende der Paneuropa-Jugend Deutschland, Christian Hoferer, leitete, diskutierten zwei erfahrene Europapolitiker aus den Reihen der Paneuropa-Union, Elmar Brok von der CDU und Milan Horáček von den Grünen, der päpstliche Nuntius Nikola Eterović, die Jugendvertreterin im Deutsch-Tschechischen Gesprächsforum, Marie Bělohoubková, sowie Paneuropa-Präsidiumsmitglied Knut Abraham MdB Ideen für die Weiterentwicklung der EU. Sie riefen zu einer massiven Parlamentarisierung Europas auf sowie zu einer beschleunigten Integration des Westlichen Balkan, der Ukraine und der Republik Moldau. Beifallsstürme lösten die Lieder des ukrainischen Opernsängers Sergej Ivanchuk aus, der bei einem humanitären Einsatz in Charkiv auch an der Lunge schwer verwundet wurde und dennoch mit starker Stimme musikalisch für den Frieden in seiner Heimat eintritt.