Urheberrecht: Europäische Regeln im digitalen Zeitalter

10.02.2016
von Dirk Hermann Voß

Die Regierungen Deutschlands und Frank-reichs haben im Rahmen des regelmäßigen deutsch-französischen Ministerrats im März diesen Jahres vereinbart, sich für gemeinsame europäische Regeln zum Urheberrecht einzusetzen. Die deutsch-französische Initiative steht im Zusammenhang mit einer von der Europäischen Kommission geplanten Modernisierung des Urheberrechts. Dirk Hermann Voß,  internationaler Vizepräsident der Paneuropa-Union und als Rechtsanwalt schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes tätig, zu dem auch das Urheberrecht gehört, erläutert, weshalb das Urheberrecht für die kulturelle Vielfalt Europas von herausragender Bedeutung ist und der „Rohstoff Kreativität“ im digitalen Zeitalter neue Regeln benötigt.

Die Europäische Union versteht sich in vorderster Linie als eine Gemeinschaft des Rechts. Dem Urheberrecht kommt als einem zentralen – wenn auch nicht dem einzigen – Schutzrecht für den „Rohstoff Kreativität“ eine maßgebliche Bedeutung für die Förderung und den Erhalt von kultureller Vielfalt, Kreativität und Innovation in Eu-ropa zu. Die Rahmenbedingungen des kreativen Schaffens, aber auch der Verbreitung und Nutzung von kreativen Schöpfungen – der Literatur, der Musik, des Films oder auch von Computer-Software – verändern sich in einer digitalen Informations- und Wissensgesellschaft mit immer größerer Geschwindigkeit, die der rechtliche Rahmen immer wieder neu abbilden, ausgestalten und auch begrenzen muß. Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands haben vor diesem Hintergrund in Berlin im März diesen Jahres, bei ihrem regelmäßigen Kabinettstreffen, eine von Bundesjustizminister Heiko Maas und Frankreichs Kulturministerin Fleur Pellerin unterzeichnete gemeinsame deutsch-französische Erklärung verabschiedet, die gemeinsame Eckpunkte für die gerade begonnene Debatte um die Modernisierung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter auf europäischer Ebene formuliert.

Einer der Kernsätze der Erklärung lautet: „Das Urheberrecht ist nicht nur eine Angelegenheit von Eigentum und Wirtschaft, sondern ebenso von Kultur und Redefreiheit. Die kulturelle Vielfalt innerhalb der Europäischen Union, einschließlich der sprachlichen und regionalen Besonderheiten, gehört zu ihren größten Reichtümern. Wer das Urheberrecht ausschließlich als technisches Hindernis auf dem Weg zur Vollendung des digitalen Binnenmarktes betrachtet, wird seiner Bedeutung nicht gerecht.“ Zugleich wollen die Regierungen in Paris und Berlin auf europäischer Ebene „einen Rechtsrahmen schaffen, der das volle Potential des Binnenmarktes erschließt und der gleichzeitig sicherstellt, daß Kreative für ihre Werke angemessen vergütet werden und daß kulturelles Schaffen nachhaltig finanziert wird.“ Beide Länder wollen die von der Europäischen Kommission initiierte Modernisierung des Urheberrechts daher „aktiv und konstruktiv“ begleiten. Bisher verfügt die Europäische Union im Bereich des Urheberrechts über keine originäre Gesetzgebungskompetenz. Der bisherigen Tätigkeit des europäischen Gesetzgebers im Bereich des Urheberrechts liegt daher in erster Linie Art. 114 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union  (AEUV; der vormalige Art. 95 EG-Vertrag) zugrunde, der die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes zum Gegenstand hat. Mangels originärer europäischer Zuständigkeit für das Urheberrecht ist dieses Rechtsgebiet heute weitgehend noch durch territorial zersplitterte nationale Urheberrechte der einzelnen Mitgliedstaaten gekennzeichnet, während etwa im Bereich des Markenrechts durch die Europäische Markenrechtsverordnung und die Errichtung des bereits 1994 gegründeten Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt sogenannte Gemeinschaftsmarken angemeldet werden können, die im gesamten Gebiet der Europäischen Union gleichmäßigen Schutz genießen. Abgesehen von multilateralen internationalen Übereinkünften ist es derzeit dagegen noch weitgehend Sache der einzelnen EU-Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen und Modalitäten für den Schutz des Eigentums an literarischen und künstlerischen Werken festzulegen. Lediglich in verschiedenen Punkten, in denen die unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regelungen der Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes entgegenstehen, ist es bisher zu einer europäischen Harmonisierung durch Richtlinien gekommen, die jeweils in mitgliedstaatliches Recht umgesetzt wurden. Hierzu gehören unter anderem die wichtige „Richtlinie über den Rechtsschutz von Computerprogrammen“ von 1991, die Richtlinien „zur Koordinierung bestimmter Urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung“ von 1993 und 2006, „zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts“ von 1993 und 2006, die „Richtlinie über den rechtlichen Schutz von Datenbanken“ von 1996, die Richtlinie „zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte  in der Informationsgesellschaft“ von 2001 oder die „Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte am geistigem Eigentum“ von 2004. Hinzu kommt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der mehrfach das Verhältnis zwischen europäischem  Binnenmarkt und nationalen Urheberrechtsregeln zu (be)urteilen hatte und marktbeschränkende Urheberrechtsregeln jeweils europarechtskonform ausgelegt hat.

Das doppelte Ziel der aktuellen deutsch-französischen Bemühungen im Bereich des Urheberrechts besteht darin, einerseits „denjenigen, die urheberrechtlich geschützte Werke schaffen, einen angemessenen Anteil der Einnahmen aus der Verwertung ihrer Werke zu sichern, damit sie mit ihrer kreativen Tätigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können“, und andererseits „den Endnutzern den bestmöglichen Zugang zu kreativen Werken zu erhalten“, indem zugleich neue Techniken und neue Geschäftsmodelle gefördert werden.

Die beiden Regierungen wollen dabei vermeiden, daß die Verbraucher in Europa das Urheberrecht ausschließlich als ein „Verbotsrecht“ wahrnehmen (und es als solches möglicherweise auch mißachten!). Ausdrücklich wird in der gemeinsamen Erklärung darauf verwiesen, daß Deutschland und Frankreich mit der Einführung der erlaubten, zugleich aber vergüteten Privatkopie, deren Vergütung über den Kaufpreis für kopierfähige technische Einrichtungen und Geräte erhoben wird, „bereits in der analogen Welt kluge Modelle mit großem Erfolg umgesetzt“ hätten, die im digitalen Kontext weiterentwickelt werden sollen.

So unterstützt unser westlicher Nachbar bereits seit 2013 durch eine „Lex Google“ Verlage und Zeitungshäuser, indem die französische Regierung mit dem amerikanischen Internetkonzern Google aushandelte, daß dieser über drei Jahre 60 Millionen Euro in einen Fonds einzahlt, der den Verlagshäusern bei der Umstellung auf digitale Angebote helfen soll. Google entging dadurch einer eigenen Steuer, mit deren Einführung die französische Regierung gedroht hatte. Das Beispiel zeigt, daß auch im Bereich des Urheberrechts die eigentlichen gesetzgeberischen Imperative auf die Regulierung internationaler Märkte gerichtet sein müssen, was naturgemäß nur im größeren europäischen Rechtsrahmen Rahmen zu leisten ist.

Dr. Dirk Hermann Voß arbeitet als Rechtsanwalt für die Augsburger Wirtschaftskanzlei SCHEIDLE & PARTNER mit Schwerpunkt im IT-Recht sowie im Bereich Gewerblicher Rechtsschutz (einschließlich Urheber- und Medienrecht).