von Bernd Posselt
Diesen Herbst war es 75 Jahre her, seit Konrad Adenauer am 15. September 1949 mit nur einer Stimme Mehrheit, nämlich seiner eigenen, zum ersten Bundeskanzler der von ihm führend mit begründeten Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde. Dies war mehr als nur eine Personal-, es war eine Richtungsentscheidung hin zur Westorientierung des deutschen Volkes. Da diese heute von Sahra Wagenknecht und der AfD wieder in Frage gestellt wird, verweist der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland auf die paneuropäischen Wurzeln der Bundesrepublik.
Die Pariser Vorortverträge von 1919, zumal der von Versailles, schufen weder echten Frieden noch Völkerverständigung, sondern verschärften den Nationalismus, allen voran den alteingewurzelten zwischen den angeblichen Erbfeinden Deutschland und Frankreich. Zwei junge Männer, der eine aus Böhmen und der andere aus dem Rheinland, wollten aber schon zu diesem Zeitpunkt einen anderen Weg gehen als den von Krieg, Haß und Rache.
Richard Coudenhove-Kalergi drehte damals an seinem Globus in der Ronsperger Bibliothek und entwickelte die Idee eines friedlichen und demokratisch geeinten Eu-ropa, die er 1922 mit Gründung der Paneuropa-Bewegung in die reale Welt setzen sollte. Während die meisten Zeitgenossen nach dem Ersten Weltkrieg zutiefst erschüttert waren vom krachenden Zusammenbruch der alten Ordnung und sich oft sehr radikalen Ideologien zuwandten, setzte Coudenhove seine Hoffnung in die neue Ära: „In diesen Tagen entschwand die Welt, in der ich aufgewachsen war. ... Ich begrüßte diesen Wandel. Mein Herz und mein Geist waren mit der Zukunft. ... Meine große Hoffnung war der Völkerbund. In ihm und durch ihn sollten die Völker und Rassen ... zusammenarbeiten für die Ideale des Friedens, der Freiheit und des menschlichen Fortschritts.“
Der Kölner Bürgermeister Konrad Adenauer, als Persönlichkeit weniger visionär und viel pragmatischer als Coudenhove, dachte im Gegensatz zu den meisten anderen Deutschen ähnlich. Bei der Neueröffnung der Kölner Universität, noch vor Abschluß des Versailler Vertrages, sagte er: „Wie auch der Friedensvertrag aussehen mag, hier am Rhein, an der alten Völkerstraße, werden während der nächsten Jahrzehnte die deutsche Kultur und die westlichen Demokratien zusammenstoßen. Wenn ihre Versöhnung nicht gelingt, wenn die europäischen Völker nicht lernen, über der berechtigten Wahrung ihrer Eigenart das aller europäischen Kultur Gemeinsame zu erkennen und zu pflegen“, dann bedeute dies einen neuen Krieg und den endgültigen Verlust von Europas Stellung in der Welt. Die Universität Köln sei dazu berufen, „Völkerversöhnung und Völkergemeinschaft zum Heile Europas zu fördern ... Vor allem aber soll sie das Wesensverwandte aller europäischen Kulturen zeigen.“ 1926 schloß sich Adenauer der Paneuropa-Bewegung Coudenhoves an und setzte deren Gedankengut nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges gemeinsam mit dem lothringischen Franzosen Robert Schuman, später mit dem großen französischen Patrioten General Charles de Gaulle sowie in enger Partnerschaft mit dem Trientiner Alcide De Gasperi um.
Beide, Adenauer und Coudenhove, führten in der Zwischenkriegszeit heftige Kämpfe mit linken und mit rechten Nationalisten, die den Westen haßten und eine Ostorientierung verfochten. Dieses Spektrum reichte von Kommunisten und Nationalbolschewisten bis hin zur so genannten Konservativen Revolution. Die Hinterlassenschaften dieser geistigen Strömungen überwanden die beiden dann nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich auf der Grundlage der Paneuropa-Idee Westorientierung, deutsch-französische Freundschaft und der Aufbau eines demokratisch geeinten Europa durchzusetzen begannen.
Der Weg dahin war aber recht weit. Der Paneuropäer Adenauer mußte sich während des „Dritten Reiches“ vor den Schergen des Nationalsozialismus verbergen. Der damals ungleich prominentere Coudenhove-Kalergi und seine Frau, die berühmte Schauspielerin Ida Roland, waren von Hitler persönlich zur Fahndung ausgeschrieben und sollten ermordet werden. Sie flüchteten in die USA, organisierten dort die Exil-Paneuropäer und führten 1943 an der New Yorker Universität, an der Coudenhove einen Lehrauftrag erhalten hatte, den 5. Paneuropa-Kongreß durch. Dies hatte ein starkes und positives Echo in den USA, wo die Paneuropa-Idee immer populärer wurde, stieß aber auf heftige Gegnerschaft im Weißen Haus. Dort setzte man auf eine enge Partnerschaft mit Josef Stalin und wollte Nachkriegs-Europa im Einvernehmen mit ihm gestalten. Herausragende Persönlichkeiten, die sich in den zwanziger Jahren der Paneuropa-Bewegung angeschlossen hatten, etwa der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, traten aus, weil sie das Konzept einer Europäischen Einigung in der Nachkriegszeit als Provokation Sowjetrußlands betrachteten. Coudenhove hielt aber an seiner Westorientierung fest und war nicht bereit, eine Teilung Europas oder eine Relativierung des demokratischen Prinzips zu akzeptieren, das er in den USA noch stärker als vor dem Krieg verinnerlicht hatte. Er stritt vehement für eine Europäische Föderation, die aus einer direkt von den Europäern gewählten Verfassungsgebenden Versammlung hervorgehen und ein atlantisches Bündnis mit den USA schließen sollte. Neue Forschungsergebnisse dazu wird der Historiker Dr. Martin Posselt in seinem 2025 erscheinenden Buch „Ein Parlament für Europa. Richard Coudenhove-Kalergi, Paneuropa und die westliche Demokratie 1922 – 1952“ vorlegen.
Ähnlich wie Coudenhove handelte in den Jahren 1945 bis 1949 Adenauer beim Aufbau einer aus den drei westlichen Besatzungszonen zusammengefügten demokratisch-föderalistischen Bundesrepublik Deutschland. Breite neutralistische Kreise attackierten ihn, weil er in Deutschland und Europa die Freiheit über die Einheit stellte. Er wollte zwar mit Leidenschaft ein freies Gesamteuropa mit einem darin fest integrierten Gesamtdeutschland; für nationalneutralistische Experimente, die Deutschland vom Westen abgekoppelt hätten, war er aber nicht zu haben. Lieber nahm er eine Teilung in Kauf, zumal er überzeugt war, die Sogkraft eines freien Westens werde eines Tages so stark sein, daß sie zur Wiedervereinigung Deutschlands und zu einem demokratischen Gesamteuropa führen werde.
Genau dies geschah in der Ära des oftmals als sein „Enkel“ apostrophierten Helmut Kohl, dessen Gedankengut ebenfalls zutiefst paneuropäisch geprägt war. Kohl, Coudenhove und Adenauer teilten die unerschütterliche Erkenntnis, daß die europäische Einigung nur auf einem deutsch-französischen Kern aufbauen könne, der aber die kleineren Länder respektvoll und auf Augenhöhe einbeziehen müsse. Die NATO wollten sie wie auch ein anderer Paneuropäer, der junge Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß, Schritt für Schritt in ein Bündnis auf Augenhöhe weiterentwickeln, mit zwei Säulen – den Vereinigten Staaten von Amerika und den Vereinigten Staaten von Europa.
Wenn heute auch aus der Partei Adenauers – der durchaus für pragmatische Zwischenschritte zu haben war – eine Abkehr von der Idee eines europäischen Bundesstaates gefordert wird, so sei auf das Interview des Alten im Nordwestdeutschen Rundfunk am 6. März 1946, noch vor der Zürcher Rede Winston Churchills, verwiesen: „Ich hoffe, daß in nicht zu ferner Zukunft die Vereinig-ten Staaten von Europa, zu denen Deutschland gehören würde, geschaffen werden, und daß dann Europa, dieser so oft von Kriegen durchtobte Erdteil, die Segnungen eines dauernden Friedens genießen wird.“ Daß dies bedeutete, zwar im freien Westen zu beginnen, aber den sowjetisch unterdrückten Osten keinesfalls abzuschreiben, machte Adenauer wenig später bei einer Kundgebung in Wuppertal am 5. Mai 1946 deutlich. Er lehnte eine Mitgliedschaft Rußlands in den von ihm angestrebten Vereinigten Staaten von Europa ab, hatte aber bereits damals die Ukraine im Blick: „Rußland hat ein asiatisches und ein europäisches Teil. Rußland besteht aber aus einer Reihe von Republiken, und ein Teil seiner Republiken ist jetzt neben Sowjetrußland auch Mitglied in der UNO. Warum sollten diejenigen Republiken Rußlands, die auf europäischem Boden liegen, nicht auch Mitglied der Vereinigten Staaten von Europa werden? Warum sollte das nicht möglich sein?“
Adenauer-Biograph Werner Weidenfeld hält fest: „Europa war für ihn von Anfang an ein geistig-politischer Begriff. Das Ja zu Europa war ein Ja zur Freiheit. Europa forderte für ihn die klare und eindeutige Wertentscheidung der Politik. Insofern verstand er Europa zwar nicht als ein bloßes Zweckbündnis, aber er maß ihm dennoch zwei Schutzfunktionen zu. Europa sollte Schutz gegenüber einem Kommunismus gewähren, der in seiner totalitären Erscheinungsform und in seinem absoluten Materialismus freiheitsvernichtende Wirkung besitzen mußte. Darüber hinaus sollte Europa dem Schutz des deutschen Volkes vor seinen eigenen fragwürdigen Traditionsbeständen, nämlich dem Schutz vor Nationalismus und vor anti-westlichen Affekten, dienen.“
Die preußisch-kleindeutschen Außenbeziehungen waren jahrhundertelang von einer Schaukelpolitik zwischen Ost und West bestimmt, die mit historischen Begriffen wie Tauroggen und Rapallo gekoppelt war - Namen, die für Sonderbeziehungen zwischen Berlin und Moskau oder St. Petersburg stehen. Darin klingt der Gedanke mit, Deutsche und Russen würden sich immer wieder auf Kosten der kleineren Völker, die zwischen ihnen leben, einigen und diese gemeinsam unterdrücken. Eine teuflische Perfektion fand dieses Konzept im Hitler-Stalin-Pakt, der bis heute das Bewußtsein von Polen, Balten, Tschechen und vielen anderen nachhaltig prägt.
Konrad Adenauer war zeitlebens von der Furcht getrieben, Deutschland könne sich wieder von der von ihm gestifteten Erbfreundschaft mit Frankreich und der Idee einer supranationalen Einigung Europas abkoppeln. So dachten auch Kohl und Strauß. Beide drückten mir bei Gesprächen 1976 und später ihre Sorge aus, mit der Kriegsgeneration könnte Deutschland diese beiden fundamentalen Orientierungen verlieren. Sie beschworen uns, Paneuropa-Union und Paneuropa-Jugend mit allen Kräften so voranzutreiben, daß auch nächste Generationen an dieser neuen Rolle Deutschlands in Europa festhielten.
Kritiker einer auf tiefer deutsch-französischer Übereinstimmung beruhenden supranationalen Integration Europas behaupten immer wieder, dies widerspreche einer guten Partnerschaft mit den USA und führe automatisch in eine Feindschaft mit Rußland. Beides ist falsch. Je stärker und einiger Europa ist, desto ernster wird es von den USA genommen. Heute kritisieren europafreundliche Amerikaner unsere nationalstaatliche Zersplitterung, weil sie das westliche Bündnis schwächt, und europaskeptische nehmen sie als Argument dafür, daß diese uneinige Halbinsel Eurasiens den Steuerzahler in Illinois keinen Cent wert sein dürfe.
Noch krasser ist es in Rußland. Schon vor Jahrzehnten wies der tschechische Politikwissenschaftler, ehemalige Bürgerrechtler und Paneuropäer Rudolf Kučera darauf hin, daß das Wort „Europa“ – oder gar „Europäische Union“ – in den meisten russischen Publikationen gar nicht auftauche. Dort schreibe man lediglich über die USA und China. Der Begriff „Europa“ werde vom Kreml nur dann eingesetzt, wenn es darum gehe, den Westen zu spalten. In diese Richtung ging bereits Gorbatschows Wort vom „Europäischen Haus“, das Rußland und die EU, aber nicht die USA umfassen sollte. Dieser Idee zu folgen, hätte eine massive Gleichgewichtsverschiebung in Richtung Osten bedeutet, vor der Adenauer immer wieder warnte.
Putin will Europa spalten
Ein Meister der subversiven Sprache ist Wladimir Putin. Seine Rede am 25. September 2001 im Deutschen Bundestag wird gerne als Hinweis auf seine angebliche Friedfertigkeit und Kooperationsbereitschaft in dieser Ära zitiert. Wir Paneuropäer haben sie schon damals als das gewertet, was sie in Wirklichkeit war: der erstaunlich erfolgreiche Versuch, deutschen Politikern so sehr zu schmeicheln, daß sie wieder den Irrweg deutsch-russischer Sonderbeziehungen ge-
hen und sich dabei von ihren unmittelbaren europäischen Nachbarn, allen voran Frank-reich und Polen, abwenden. Konkrete Auswirkung war die von Gerhard Schröder vorangetriebene Schaffung der Ostsee-Pipelines, die Deutschland von Rußland existenziell abhängig machten und auf demonstrative Weise Polen, das Baltikum und die Ukraine umgingen. Die Ostmitteleuropäer warnten Berlin kompetent und faktenbasiert vor dieser Fehlkonstruktion, die Europa gleichzeitig spaltete und energiepolitisch schwächte. Darüber hinaus vergiftete diese Moskauer Strategie auch emotional die Atmosphäre zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn, denn sie weckte Erinnerungen an den Hitler-Stalin-Pakt und riß alte Wunden auf – für mich im Europäischen Parlament einer der Gründe, in namentlicher Abstimmung gegen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 zu stimmen.
Unvergessen ist mir in diesem Zusammenhang eine Begebenheit kurz nach der Annexion der Krim durch Rußland. Ein Spitzenpolitiker beriet sich mit einem kleinen Kreis, zu dem auch ich gehörte, über eine bevorstehende Moskau-Reise. Zwei Plätze neben mir saß ein Großunternehmer, der zu meinem Entsetzen folgende These vertrat: Die europäische Einigung sei am Ende, Polen und die Balten als Staaten gescheitert, weshalb die Zukunft wirtschaftlich, militärisch und außenpolitisch einem deutsch-russischen Sonderbündnis gehöre, das auf die anderen keine Rücksicht nehmen dürfe.
Die Putinisierung Europas, an der Moskau derzeit so intensiv arbeitet, stößt auf verschiedene historische, kulturelle und psychologische Muster, die der frühere KGB-Agent im Kreml überaus geschickt analysiert und instrumentalisiert. Was Putin in seinem brutalen Machtstreben von seinen sowjetischen Vorgängern unterscheidet, ist, daß ihm jede ideologische Verbrämung fremd ist. Wenn es seinen Zwecken dient, fördert er linke ebenso wie rechte Nationalisten, enttäuschte Christen und instrumentalisierbare Gegner des christlichen Glaubens, Anarchisten und Verfechter eines starken Staates, Islamisten und solche, die Angst vor Muslimen haben. Damit folgt er den ältesten inzwischen bekannt gewordenen KGB-Handbüchern, in denen zur Bekämpfung des Feindes alles empfohlen wird, was Unruhe und Chaos stiftet. Westliche Analytiker scheuten ursprünglich davor zurück, auf dieses Phänomen hinzuweisen, weil sie befürchteten, als Verschwörungstheoretiker abgetan zu werden. Inzwischen haben sich so viele Warnungen aus den Nachrichtendiensten von NATO, EU und deren Mitgliedstaaten als richtig erwiesen, daß nunmehr solide Erkenntnisse über dieses Vorgehen der aktuellen russischen Führung vorliegen.
Die Durchdringung der europäischen Gesellschaft folgt einem umfassenden Ansatz. Von Sportvereinen wie Schalke 04 bis hin zum später entlassenen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker Waleri Gergijew, von der mittlerweile aufgelösten Gazprom-Stiftung in Mecklenburg-Vorpommern, die das Vereinsleben dort subventionierte, um die beiden Nord- Stream-Pipelines populär zu machen, bis hin zum offiziellen Freundschaftsvertrag mit der österreichischen Rechtsaußen-Partei FPÖ reichte das Spektrum der Putin'schen Netzwerke, bis sie nach dem 24. Februar 2022 zumindest teilweise einen Rückschlag erlitten.
Bezeichnend für die Methoden des Kreml ist auch, wo immer möglich Rechts- und Linksnationalisten parallel zueinander aufzubauen. Erprobt wurde diese Technik von Putin erstmals im Land selbst, indem er gleichzeitig den Kult des Zarenhauses und den seines Idols Josef Stalin propagierte. Sich selbst installierte er als Erben sowohl der Zaren als auch der Zarenmörder.
Schon vor Jahren gelang es erstmals, größere Geldströme Rußlands an die Links- und Rechtsextremisten in Frankreich zu enthüllen. Entsprechende Beweise legte unter anderen die französische Satirezeitschrift „Le Canard enchainé“ vor. Ein dubioser Elsässer, den ich von früher her kannte, sorgte für russische Kredite an die rechtsradikale Partei von Marine Le Pen. Parallel dazu gab es eine ähnliche Verbindung zu den – wie Le Pen zutiefst anti-deutschen und anti-europäischen – Marxisten um Jean-Luc Mélenchon. Jenseits aller ideologischen Gräben begannen beide Putins gewalttätige Eingriffe in die Ukraine zu unterstützen. Dafür gründeten sie eigens im Straßburger Europaparlament ein gemeinsames „Friedensforum“.
Sowohl 2017 als auch 2022 wäre es möglich gewesen, daß die Stichwahl um das Präsidentenamt der Fünften Republik zwischen diesen beiden vermeintlich extrem unterschiedlichen Kreml-Jüngern ausgetragen worden wäre – eine Gefahr, die 2027 ebenfalls wieder droht, wenn Emmanuel Macron nicht mehr antreten kann. Die Wahl zur Französischen Nationalversammlung dieses Jahr gab einen Vorgeschmack auf solche Verhältnisse, weshalb es von großer Bedeutung ist, daß es den Parteien der Mitte in Frankreich gelingt, glaubwürdige Alternativen aufzubauen – und nicht weiterhin zersplittert zu bleiben oder erneut eine schwache linksliberale Figur nach dem Muster des derzeitigen Staatspräsidenten ins Rennen zu schicken. Wenn Frankreich kippt, ist die europäische Einigung bis auf weiteres am Ende.
An dieser sägen auch Putins Freunde im Europäischen Parlament, allen voran die rechtsextreme Fraktion mit dem irreführenden Namen „Patrioten für Europa“, die Viktor Orbán (Fidesz) aus Ungarn, Herbert Kickl (FPÖ) aus Österreich, Marine Le Pen (Rassemblement National) aus Frankreich, Andrej Babiš (ANO) aus der Tschechischen Republik und Matteo Salvini (Lega) aus Italien ins Leben gerufen haben. Außer der Zerstörung der europäischen Einigung haben sie sich, ebenso wie die nationalistischen Linksextremisten aus den Parteien von Mélenchon in Frankreich und Sahra Wagenknecht in Deutschland, vor allem der Unterstützung Wladimir Putins verschrieben, was sie jedoch nach außen als „Friedenspolitik“ tarnen. Ihr propagandistisches Spiel läßt sich mit einer einzigen Überlegung entlarven: Würde Rußland morgen die Waffen niederlegen, wäre Frieden; würde die Ukraine dies tun, würde sie ausgelöscht.
Mit unehrlichen Friedensschalmeien Putin'scher Prägung arbeiten in Deutschland in diesem Sinne vor allem AfD und BSW, die jetzt bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen massiv gestärkt wurden. Sie versuchen damit zu überspielen, daß sie das Kostbarste, was Konrad Adenauer und seine Generation aufgebaut haben, nämlich die europäische Einigung sowie die Westorientierung, untergraben und die Bundesrepublik einer romantisierten russischen Dominanz überlassen wollen.
In einem Interview habe ich Sahra Wagenknecht als „menschgewordenen Hitler-Stalin-Pakt“ bezeichnet. Damit meinte ich, daß auch sie an Ukrainern und anderen Ostmitteleuropäern vorbei direkt zwischen Moskau und Berlin die politischen Verhältnisse regeln will, einschließlich eines Diktatfriedens für die Ukraine. Besonders gefährlich an ihr ist nicht nur die Art und Weise, wie sie von vielen Medien hofiert wird, sondern auch, daß es ihr immer wieder geschickt gelingt, den – gegenüber der AfD inzwischen unwiderlegbaren – Extremismusvorwürfen zu entgehen. Angesichts der Verhältnisse im Osten des Bundesgebietes hat sie es geschafft, sich gegenüber den großen demokratischen Volksparteien als koalitionsfähig zu präsentieren und zumindest vorläufig Einfallstore für den Putinismus, dessen Konstrukt ihre angebliche Partei ist, zu öffnen. Investigativjournalisten recherchieren derzeit, womit es zusammenhängt, daß Finanzstränge sowohl der AfD als auch des BSW und einiger Vorfeldorganisationen ausgerechnet bei der Volksbank Pirna zusammenlaufen.
Die AfD hat eine zeitlang plakativ verkündet, sie sei so etwas wie die Gralshüterin der alten und wahren CDU Adenauers beziehungsweise der CSU von Franz Josef Strauß. Dabei ist sie das genaue Gegenteil. In immer offenerem Zusammenspiel erweisen sich AfD und BSW als lupenreine Einflußagenten Putins mit einem großen gemeinsamen Ziel: die paneuropäische West-orientierung Deutschlands zu beenden.