63. Andechser Europatag der PEU Deutschland

Posselt und Hofreiter warnen vor Selbstbetrug des Westens

27.03.2025

Beim 63. Andechser Europatag der Paneuropa-Union Deutschland haben deren Präsident, der langjährige CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt, sowie der Vorsitzende des Europaausschusses im Deutschen Bundestag, Dr. Anton Hofreiter von den Grünen, vor rund 200 Teilnehmern, vor einem Selbstbetrug des Westens in Sachen Ukraine gewarnt. 

Posselt betonte, dass der russische Präsident Putin „nicht im geringsten daran denkt, einen auch nur einigermaßen tragfähigen Frieden zu schließen.“ Nach wie vor strebe er ein von Moskau gelenktes Eurasien von Wladiwostok bis Lissabon an. Dieses Ziel sei zwar nicht realistisch, werde aber von ihm und seinem Umfeld ständig getrommelt. Deshalb sei die Idee, „dass man ihm ein Viertel, die Hälfte oder die ganze Ukraine schenkt und dann Ruhe ist, nicht nur moralisch falsch, sondern auch dumm und illusionistisch.“

Da die USA sich von Europa abwendeten und Rußland auf lange Zeit eine Gefahr bleiben werde, müssten, so Posselt, „nicht nur in einer Koalition der Willigen Sofortmaßnahmen eingeleitet und massive Hilfen für die existenziell gefährdete Ukraine bereitgestellt werden, sondern gleichzeitig energisch der Aufbau von Vereinigten Staaten von Europa mit einer funktionsfähigen Verteidigungsunion sowie einer supranationalen Europäischen Armee angegangen werden.“ 

Bei einem hochkarätigen Diskussionsforum zum Thema „Schluss mit dem leeren Gerede – Europas Einigung steht vor dem Ernstfall“ diskutierten unter der Moderation des internationalen Vizepräsidenten der Paneuropa-Union, Dr. Dirk-Hermann Voß, neben Anton Hofreiter, der Botschafter Polens in Deutschland, Dr. Jan Tombiński, Benjamin Hartmann aus dem Kabinett des ersten EU-Kommissars für Verteidigung und Weltraum in der Geschichte, Andrius Kubilius, der außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Michael Gahler MdEP, der Präsident des Europäischen Wirtschaftssenats, Dr. Ingo Friedrich sowie Prof. Klaus Welle vom Brüsseler Martens Centre.

Diskutierten auf dem Podium in Andechs (v.l.n.r.): Dr. Benjamin Hartmann, Dr. Ingo Friedrich, Anton Hofreiter MdB, Dr. Dirk H. Voß, Botschafter Jan Tombiński, Prof. Klaus Welle und Michael Gahler MdEP.
Diskutierten auf dem Podium in Andechs (v.l.n.r.): Dr. Benjamin Hartmann, Dr. Ingo Friedrich, Anton Hofreiter MdB, Dr. Dirk H. Voß, Botschafter Jan Tombiński, Prof. Klaus Welle und Michael Gahler MdEP.

Anton Hofreiter betonte: „Wir werden an allen Fronten angegriffen“. Zur Herstellung der Verteidigungsfähigkeit forderte er die Schaffung eines Europäischen Geheimdienstes – „wir brauchen eine eigene NSA“ – eine offensive Cyber-Verteidigung und insbesondere die Vereinheitlichung der Waffensysteme: „In Europa haben wir 19 verschiedene Kampfpanzertypen.“ Zur Abwehr der subversiven Kriegsführung Rußlands in Deutschland sprach er sich für ein Verbot der AfD aus: Diese Partei sei verfassungsfeindlich und „organisiert den Landesverrat in unseren eigenen Parlamenten.“

Jan Tombiński zitierte Putins Chefideologen Alexander Dugin: „Für Rußland ist der Krieg ein Faktor der Identität und konstitutiv. Rußland soll mit dem Krieg leben.“ Dies ziele langfristig auf die Vernichtung einer EU, die “uns Sicherheit, Zuversicht und die Möglichkeit bietet, in die Zukunft zu investieren“. Die „méthode communautaire“, die Gemeinschaftsmethode der EU, am Verhandlungstisch Lösungen zu finden, sei für Putins Ideologie ein Störfaktor und „eine existentielle Gefahr“. Die Sogkraft der europäischen Integration habe schon die Sowjetunion zu Fall gebracht. Damals wollten die Mitteleuropäer nicht mehr unter dem sowjetischen System leben; heute strebten jene, die noch von postsowjetischen Strukturen tangiert würden, wie Ukraine und Moldau, nach einem „Anteil an dem, was wir haben“. „Deshalb greift uns das russische System auch in unseren Ländern an, durch Parteien, die die Demokratien schwächen - wie früher durch die Kommunistischen Parteien in Frankreich, Italien oder Portugal.“ Tombiński rief die Politiker Europas dazu auf, mehr Mut zu zeigen: „Gerade unsere demokratische Gesellschaft schätzt Mut.“ 

Benjamin Hartmann gab einen Überblick über die Tätigkeiten und Pläne der EU auf dem Gebiet der Verteidigung. Rußland sei zwar wirtschaftlich schwach, gebe aber für Rüstung derzeit mehr aus als die gesamte EU. Abschreckung sei daher keine Kriegstreiberei, sondern notwendig zur Erhaltung des Friedens. Deshalb habe Kommissar Kubilius vor wenigen Tagen ein Weißbuch vorgestellt, das größere Verteidigungsausgaben ermögliche und sich um die von der NATO bereits festgelegten Fähigkeitslücken und Projekte kümmere, die für einen einzelnen EU-Mitgliedstaat nicht zu stemmen seien. Dabei gehe es um Produktion, Grenzsicherung, Raketen sowie Infrastruktur für militärische Mobilität. Ein besonderer Schwerpunkt sei die beschleunigte Entwicklung und Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie und der Aufbau eine Ukraine-Taskforce, die die Verteidigungsindustrie der Ukraine intensiver in die Verteidigungsindustrien der EU integriere.

Der Ukraine-Berichterstatter des Europäischen Parlamentes und Vizepräsident der Paneuropa-Union Deutschland, Michael Gahler MdEP, wies darauf hin, dass die europäische Volksvertretung, auch dank der Erweiterung von 2004, wesentlich früher die russische Gefahr erkannt und, etwa durch den Bericht zur Energie-Außenpolitik von 2006, Vorkehrungen getroffen habe. Für die Umsetzung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungsstrategie der EU gelte es das Potential auszuschöpfen, das bereits im Vertrag von Lissabon verankert sei, denn dafür sei die Einstimmigkeit des Rates nicht erforderlich.

Dr. Ingo Friedrich forderte mit Blick auf die fragwürdige Außenpolitik der Administration Trump, dass Europa zukünftig der Leuchtturm der Freiheit sein müsse und die Fahne des westlichen Wertesystems einer regelbasierten Ordnung, des Völkerrechts und der Menschenrechte vorantragen müsse.  Europa müsse wirtschaftliche Weltmacht bleiben und militärisch eine werden, um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte wirksam verteidigen zu können. Scharf attackierte der langjährige Vizepräsident des Europaparlaments wie der internationalen Paneuropa-Union die Auffassung mancher Staatsrechtler, dass Gemeinwohl, Patriotismus und Identität an den Nationalstaat gebunden seien, und forderte, endlich das europäische Gemeinwohl und den europäischen Patriotismus in den Blick zu nehmen.  

Der langjährige Generalsekretär des Europäischen Parlamentes, Prof. Klaus Welle vom Brüsseler Martens Centre wies darauf hin, dass sowohl die USA als auch Rußland schwächer seien als gemeinhin angenommen: „Der amerikanische Haushalt ist bereits zu 25 Prozent schuldenfinanziert, das Land fährt mittelfristig an die Wand. Rußland hat nur die Wirtschaftskraft von Spanien. Beide können nur einen einzigen militärischen Konflikt gleichzeitig bewältigen.“ Europa hingegen habe ein viel größeres Potential, das es durch Zersplitterung aber nicht nutze. Die Europäische Volkspartei, deren Stiftung das Martens Centre sei, habe schon vor dreißig Jahren eine Europäische Armee mit eigenem Atomschirm gefordert. Dies dürfe nicht länger ein Tabu sein, sondern sei unverzichtbar für die Souveränität Europas.

Der Europa- und Verfassungsrechtler Dr. Dirk-Hermann Voß, Vizepräsident der internationalen Paneuropa-Union, erinnerte an eine Umfrage des Paneuropa-Gründers Coudenhove Kalergi von 1925: Der Begründer der modernen europäischen Einigungsbewegung habe vor genau 100 Jahren der gesamten politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Elite Europas  zwei Fragen gestellt: „Halten Sie die Vereinigten Staaten von Europa für wünschenswert?“ und „Halten Sie deren Errichtung für möglich?“ Darauf habe der Nobelpreisträger Albert Einstein, ein aktives Paneuropa-Mitglied, geantwortet: „Ja, es ist wünschenswert; und was wünschenswert ist, ist auch möglich.“ Ähnlich sei die Reaktion eines anderen Paneuropäers, des jungen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, ausgefallen, der auf seine trockene Art schrieb: 1. „Ja“ und 2. „Ja“. Hätten sich die Paneuropäer der ersten Stunde damals schon durchgesetzt, wären Europa der Zweite Weltkrieg und die Teilung infolge der Konferenz von Jalta erspart geblieben. Heute müsse man sich wieder an solchen Persönlichkeiten orientieren und die Vereinigten Staaten von Europa vorantreiben.  

Bereits am ersten Tag der Tagung beleuchteten vier Wissenschaftler das Kongressthema „Schicksalsjahr 1945 – wie baut Europa darauf auf?“ aus Anlaß des 80. Jahrestages des Kriegsendes.

Der Generalpostulator des Minoritenordens, Prof. Zdzisław Josef Kijas aus Rom, befaßte sich mit dem Widerstand von Persönlichkeiten verschiedener Religionen und Nationen gegen Nationalsozialismus und Kommunismus. Die beiden totalitären Ideologien hätten die Europäer „nicht nur auf eine dramatische ihrer Entschlossenheit“ gestellt, „die grundlegenden Menschenrechte zu verteidigen“. Christen hätten bewiesen, dass der Mensch frei sei in seiner Entscheidung zwischen Recht und Unrecht. Heilige wie die Märtyrer des Widerstandes seien auch für das heutige Europa „Lehrer für ein weises und rechtschaffenes Leben“. 

Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Prof. Jörg Skriebeleit, schilderte deren Weg „vom vergessenen KZ zur Wiederentdeckung eines europäischen Erinnerungsortes“. Dieser Weg sei in vielen Etappen und gegen erhebliche Widerstände gegangen worden. „Unsere Erinnerungskultur folgt weder einem Masterplan noch irgendwelchen DIN-Normen“, wie es der Historiker Timothy Garton Ash einmal britisch-ironisch ausgedrückt habe. Sie sei weder „eine staatliche Erfolgsgeschichte noch gescheitert. Sie ist bedroht und braucht viele Unterstützer, Mitkämpfer, kritische Begleiter und innovative Geister“.

Der Historiker Prof. Manfred Kittel sprach über die Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die ethnischen Säuberungen in unserer Zeit. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sei es das Ziel von Vertreibungen und Zwangsumsiedlungen gewesen, gemischt besiedelte Gebiete in ethnisch homogene Nationalstaaten zu verwandeln. Ein Völkermord oder, präziser, ein Genozid, bedeute keinesfalls, dass eine Gruppe tatsächlich physisch liquidiert werde, sondern allein der Wille, ihre Existenz und Eigenart auszulöschen, erfülle diesen Tatbestand. Kittel berief sich dabei auf den jüdischen Völkerrechtler Raphael Lemkin. Seine kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von der UNO übernommene Definition von Genozid habe er bereits in den zwanziger Jahren entwickelt. Ein wichtiges Ziel der Vertreibungspolitik Stalins sei es auch gewesen, dauerhafte Spannungen zwischen den Deutschen und ihren östlichen Nachbarvölkern zu erzeugen.  

Prof. Leonid Luks vom Zentralinstitut für Mittel- und Osteuropastudien der Universität Eichstätt schilderte die politische Situation in den von der Roten Armee nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten Staaten Mittel- und Osteuropas. Josef Stalin habe in diesem Raum zunächst Volksdemokratien etabliert, in denen die Kommunistischen Parteien nur die kleineren Partner von Koalitionen waren, sich dann aber durch Subversion zum eigentlichen Machthaber aufgeschwungen hätten. In einem zweiten Schritt hätten sich die Sowjetkommunisten an der russischen Revolution orientiert, bei der die Mehrheitssozialisten, Menschewiken genannt, zuerst die Wahl gewonnen hätten, dann aber schon am nächsten Tag von den Bolschewiken Lenins liquidiert worden seien. Auch die Festigung der Regime im Osten Europas sei nur durch brutalsten Terror möglich gewesen.

Den Gottesdienst in der Wallfahrtskirche zu Ehren des Europaheiligen Benedikt hielt Prof. Zdzisław Josef Kijas, der in seiner Fastenpredigt eine Lanze für die Askese brach. Diese bedeute nicht Rückzug aus der Welt, sondern „eine Art von innerer Disziplin“, in der der Mensch nicht das Angenehme, sondern das tue, was wirklich klug und notwendig sei – „nicht nur für ihn persönlich, sondern für die größere Gemeinschaft. Der Glaube lehre uns, „daß Gott dabei immer mit uns ist.“