60. Europatag der Paneuropa-Union in Andechs: Desinformation gefährdet die Demokratie

17.10.2023

Anlässlich des 60. Andechser Europatag der Paneuropa-Union Deutschland am 15./ 16. 10. 2023, der unter dem Motto „Medien – Mittel zur Freiheit?“ stand, hat der Präsident der Paneuropa-Union Deutschland und langjährige Europaabgeordnete Bernd Posselt davor gewarnt, dass eine „von Moskau und Peking orchestrierte Desinformationskampagnen im Vorfeld der Europa- und der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen in existenzieller Weise die Demokratie gefährde“. Es sei „brandgefährlich, daß immer mehr Menschen unsere journalistisch hochwertige Medienlandschaft in Frage stellen, aber jeden Unsinn glauben, den sie irgendwo im Netz finden.“ Deshalb müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk und der traditionelle Qualitätsjournalismus gestärkt werden, damit diese inmitten einer immer hektischeren Nachrichtenflut grundsätzliche Orientierung sichern könnten. 

Diskutierten über das Thema „Überlebt unser demokratisches Europa die Mediengesellschaft?“ (v.l.n.r.): Andreas Bönte, Ludmila Rakušanová, Moderator Christian Hoferer, Bischof Komarica, Stephen A. Sikder und Steffen Hörtler.
Diskutierten über das Thema „Überlebt unser demokratisches Europa die Mediengesellschaft?“ (v.l.n.r.): Andreas Bönte, Ludmila Rakušanová, Moderator Christian Hoferer, Bischof Komarica, Stephen A. Sikder und Steffen Hörtler.

Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, bezeichnete im „Bühnengespräch“ die „christliche Idee, daß alle Menschen gleich an Würde sind und zu einer Familie gehören“, als Grundlage der europäischen Zivilisation. Deshalb hätte ein Verschwinden des christlichen Glaubens tiefgreifende Folgen für die Demokratie. Der Münchner Erzbischof nannte die Tendenz extremistischer Kreise, „das Christentum als Identitätsfloskel zu mißbrauchen, erschreckend.“ Nationalismus sei unchristlich: „Daß wir eine einzige Menschheitsfamilie sind, ist ein Glaubenssatz, ein Dogma der Kirche. Wir sind alle Brüder und Schwestern, die einen gemeinsamen Vater im Himmel haben.“ Nicht nur die Zehn Gebote und die Bergpredigt seien wesentliche Grundlagen der europäischen Kultur, sondern auch die Schöpfungsgeschichte. Der Kardinal wandte sich gegen Materialismus und Kapitalismus und sprach sich für eine Erneuerung Europas auf der Grundlage einer Ökologischen und Sozialen Marktwirtschaft im Sinne der Katholischen Soziallehre aus.  

Sebastian Sasse, leitender Redakteur für Politik und Wirtschaft der katholischen Zeitung „Die Tagespost“, stellte sich im Lichte der modernen Mediengesellschaft der Pilatusfrage „Was ist Wahrheit?“ Pontius Pilatus sei der Archetyp eines überforderten Entscheidungsträgers. Die berühmte Frage habe einerseits eine relativierende Dimension; in ihr stecke aber auch ein Hilferuf, die Sehnsucht nach einer überzeugenden Antwort, was die Wahrheit sein kann. Bei der Wahrheitssuche falle den Medien die Rolle eines Navigationssystems zu.

Paneuropa-Vizepräsident Dirk Hermann Voß skizierte als erfahrener Medienanwalt einer großen Augsburger Anwaltskanzlei die rechtlichen Grundlagen sowohl der Pressefreiheit als auch des Persönlichkeitsschutzes, die zueinander sehr häufig in einem Spannungsverhältnis stünden. Die EU-Grundrechtecharta verbürge die unantastbare Würde des Menschen, die Freiheit des Einzelnen, die Achtung der Privatsphäre und des Familienlebens, sowie den Datenschutz einerseits und die Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit andererseits. Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes des Europarates in Straßburg und des Europäischen Gerichtshofes der EU in Luxemburg hätten in den zurückliegenden Jahren den Persönlichkeitsschutz des Einzelnen gegen „Übergriffe“ und Verletzung grundlegender Rechte systematisch ausgebaut und rechtliche Grenzen der Medienfreiheit aufgezeigt.

Der langjährige ZDF-Korrespondent in Bonn, Brüssel, Wien und New York, Klaus Prömpers, unterstützte die These, daß die so genannten Social Media so etwas wie ein digitales Schlachtfeld seien. Dort verbreitete Behauptungen und Bilder trügen zur Radikalisierung der Politik sowie zur Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen bei, wenn sie sich nicht innerhalb eines vernünftigen ethischen und gesetzlichen Rahmens bewegten. Er lobte die vorhandene Gesetzgebung der EU sowie die intensiven Bemühungen, sie weiter zu entwickeln. Demokratische und rechtstaatliche Institutionen in Europa dürften sich nicht durch willkürliche Beschlüsse von US-Monopolisten aushebeln lassen.

Ulrich Bobinger, viele Jahre als Fernseh-Reporter in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs, ist heute Pressesprecher und Medienverantwortlicher des Bistums Augsburg. Er stellte energisch in Abrede, daß Medien und Kirchen einander unversöhnlich gegenüberstünden. Vor allem die lokale und regionale Presse, die die große Masse der Medienkonsumenten erreiche, sei ausgesprochen interessiert an kirchlichen Aktivitäten und berichte objektiv darüber. Seiner Ansicht nach gebe es nur sehr wenige Journalisten und Medien, die eine bestimmte ideologische oder politische Agenda verfolgten. Die meisten seien bestrebt, ihr Handwerk gut zu machen, und übten eine wichtige gesellschaftliche Kontrollfunktion gegenüber Staat und Kirchen aus. „Journalisten irren sich manchmal, es gibt auch schwarze Schafe, aber grundsätzlich sind Journalisten Mitarbeiter der Wahrheit.“

Paneuropa-Bundesgeschäftsführer Johannes Kijas würdigte in seiner Begrüßung die Tatsache, daß der Europatag zum 60. Mal auf Kloster Andechs stattfand. Pater Valentin Ziegler OSB dankte als Vertreter des Klosters dafür, „daß Paneuropa immer wieder auf den Heiligen Berg kommt und sich darüber Gedanken macht, was es heißt, ein Europa zu gestalten, das in Freiheit unterwegs und zugleich regional ausgerichtet ist.“ Höhepunkt des Europatages war ein Gottesdienst in der Andechser Wallfahrtskirche, den Bischof Franjo Komarica von Banja Luka, der Vorsitzende der bosnisch-herzegowinischen Bischofskonferenz, zelebrierte.

Das abschließende Podium „Überlebt unser demokratisches Europa die Mediengesellschaft?“ moderierte Christian Hoferer, der Bundesvorsitzender der Paneuropa-Jugend. Bischof Komarica befand, Medien sollten sich objektiv in den Dienst an der Wahrheit und der Gerechtigkeit stellen und aufbauend wirken. Er unterstrich dies mit seinen Erfahrungen aus dem kommunistischen Jugoslawien, wo er erlebt habe, „was Medien anrichten können, wenn sie in den Händen skrupelloser Machthaber sind.“ Den Paneuropäern dankte der Bischof, „daß Sie die Courage haben, über die Grenze der EU auch unsere Situation zu sehen, weil auch wir überzeugt sind, daß wir zu Europa gehören“. 

Die tschechische Starjournalistin Ludmila Rakušanová betonte, daß in der Tschechischen Republik, im Gegensatz zu Polen und Ungarn, „die öffentlich-rechtlichen Medien wirklich eine gute Figur machen.“ Nach ihrer früheren Zeit als Redakteurin von „Radio Free Europe“ befragt, antwortete sie: „Das war eine völlig andere Zeit.“ Angesichts der totalitären kommunistischen Sowjetherrschaft „konnte man nicht verwirrt sein: Es war klar, was schlecht und was gut ist.“

Andreas Bönte, stellvertretender Programmdirektor Kultur beim Bayerischen Fernsehen/ARD-Alpha, arbeitete als zentrale Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien heraus, „Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in einer Gesellschaft zu orientieren“, und für das „Ausleuchten von Hintergründen“ zu sorgen. Dies sei notwendig, damit „die Menschen wieder Lust an der Demokratie bekommen.“ Die gegenwärtige Gesellschaft sei nämlich hoch kompliziert und bedürfe ständiger solider Erklärungen.

Steffen Hörtler, stellvertretender Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft und Mitglied im ZDF-Fernsehrat gab der gebührenfinanzierten Form des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland den Vorzug vor anderen Modellen, weil sie besonders effektiv vor unmittelbarer staatlicher Einflußnahme schütze. In anderen Ländern Europas werde der Rundfunk aus der Staatskasse finanziert, was Abhängigkeiten nach sich ziehe.  

Stephen A. Sikder, Schauspieler und Casting-Director in der Kino- und Fernsehfilmproduktion, hob die Wichtigkeit der Unterscheidung hervor: „Wir werden zugeballert mit Informationen, zu kurz kommt die Wissensvermittlung und die Animation der jungen Generation, sich auseinanderzusetzen und Meinungen zu bilden“. Die Medien „hätten die Aufgabe, Anker zu sein für Pluralismus, Demokratie, Wissen und Wahrheit.“  Sikder plädierte auch leidenschaftlich dafür, die Unterhaltung weiterhin zum kulturellen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien zu zählen.