EU-Sicherheitspolitik zwischen Zwängen und Zaudern

15.11.2015
von Michael Gahler

Zunehmend sieht sich die Europäische Union mit militärischen und humanitären Herausforderungen in ihrer Nachbarschaft konfrontiert, die auch die Sicherheit Europas gefährden. Michael Gahler, Europaabgeordneter, sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion und Vizepräsident der Paneuropa-Union Deutschland, stellt dar, wie die EU-Sicherheitspolitik angesichts äußerer Zwänge langsam Gestalt annimmt.
Die EU und ihre Mitgliedstaaten bemühen sich, in der südlichen und östlichen Nachbarschaft eine proaktive Rolle zur Lösung aktueller Krisenherde einzunehmen. Dabei stehen sie vielfältigen Problemlagen in Libyen, in Israel und den palästinensischen Gebieten, in Syrien, im Irak, im Iran und in der Ukraine beziehungsweise in Rußland gegenüber. Auffällig ist, daß die EU in allen Konfliktgebieten vor allem mit humanitärer Hilfe präsent ist. Aus der nachfolgenden Darstellung im Einzelnen ergibt sich, wie breit das Engagement bereits angelegt ist, und daß man darauf zielgerichtet aufbauen kann.
So konzentriert die EU ihre politische Arbeit im Umgang mit dem drohenden libyschen Staatszerfall darauf, die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen (VN) in Libyen den Rücken zu stärken, um einen sofortigen Waffenstillstand und den Beginn eines friedlichen Dialogs zu erreichen. Seit 2011 haben die EU und ihre Mitgliedstaaten humanitäre Hilfe im Umfang von weit über 150 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Aktuell unterstützt die EU den demokratischen Wandel Libyens mit 30 Mio. Euro. Als Reaktion auf die Verschärfung der humanitären Situation im August hat die Europäische Kommission dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond 215.000 Euro zur Verfügung gestellt. Die Europäische Kommission hat angekündigt, die laufende Grenzschutzoperation Italiens „Mare Nostrum“ ab November in eine europäische Mission der EU-Grenzschutzagentur Frontex zu überführen. Das ist zu begrüßen, der Erfolg dieser Operation wird jedoch davon abhängen, inwiefern die Mitgliedstaaten zur Lastenteilung bereit sind.
Als Antwort auf die Weiterverbreitung von Waffen aus libyschen Beständen hat die EU im Mai 2013 eine Grenzunterstützungsmission (EUBAM Libya) beschlossen. Letztere steht insgesamt jedoch unter keinem guten Stern. Nach Ende der Schrek-kensherrschaft Gaddafis 2011 brauchte es innerhalb der EU zwei Jahre innereuropäischer Abstimmung, diese Grenzmission zu beginnen. Doch auch nach dem Start der Mission blieben die libyschen Ansprechpartner unklar. Nach ersten Trainingsmaßnahmen libyscher Grenzschützer mußte die Mission aufgrund der Verschlechterung der Sicherheitslage Anfang August 2014 nach Tunesien verlegt werden. Zwar stellt sich angesichts dieser Situation die Frage einer vorzeitigen Beendigung der Mission, dies wäre jedoch ein falsches politisches Signal in Richtung Libyen, das trotz vorhandener Symptome eines „gescheiterten Staates“ immerhin über ein gerade neu gewähltes Parlament verfügt, während die anerkannte Regierung gerade ihren Rücktritt erklärt hat.
Der Machtwechsel in Libyen und das Machtvakuum nach der Gaddafi-Herrschaft führten dazu, daß libysche Waffen und Kriegsgerät in die Sahelregion und so auch nach Mali gebracht wurden. In Folge des Putsches in Mali und der Besetzung des Nordens des Landes durch Islamisten im Jahr 2012 startete die EU im Januar 2013 eine militärische Mission zur Ausbildung malischer Soldaten. Zwar wurden in vier Ausbildungsgängen viele Soldaten trainiert, jedoch ist die Mission nicht vor politischen Rückschlägen und Fehlentscheidungen in den Partnerländern gefeit.
In Folge des fortgesetzten Raketenbeschusses der palästinensischen Hamas auf israelisches Staatsgebiet eskalierte in diesem Sommer der Nahostkonflikt in ein weiteres Mal. Im August forderte der EU-Außenministerrat eine Rückkehr zum Nahostfriedensprozeß. Er unterstrich dabei seine Bereitschaft, eigene Beiträge für eine umfassende und nachhaltige Lösung des Konflikts erbringen zu wollen. Die Außenminister verbanden mit dem Waffenstillstand die Hoffnung, daß die Lebensbedingungen im Gazastreifen wesentlich verbessert werden – auch durch die Aufhebung der Blockade – und daß im Gegenzug die Bedrohung Israels durch Raketenangriffe und Tunnelanlagen der Hamas eingestellt wird. Die EU setzt sich dafür ein, alle terroristischen Organisationen im Gazastreifen zu entwaffnen. Der Friedensprozeß muß insgesamt wieder in Gang kommen und beide Seiten Maßnahmen unterlassen, die ihn erschweren. Auf israelischer Seite gehört dazu ein Stopp des Siedlungsbaus.
Im humanitären Bereich unterstützt die EU das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) mit ca. 100 bis 150 Mio. Euro im Jahr. Insgesamt erbringt sie 58 Prozent des jährlichen UNRWA-Budgets auf. Angesichts der jüngsten Konflikteskalation stellte sie zusätzliche 5 Mio. Euro für Soforthilfsmaßnahmen im Gazastreifen zur Verfügung. Bereits seit mehreren Jahren ist die EU in den palästinensischen Gebieten mit zwei GSVP-Missionen tätig: Seit 2006 unterstützt die EU-Polizeimission in den palästinensischen Gebieten (EUPOL COPPS) die zivile Polizeireform Palästinas. Zur Erfüllung der Aufgaben stehen den 110 Mitarbeitern für die Jahre 2014 bis 2015 10 Mio. Euro zur Verfügung. Ferner nimmt seit 2005 die EU-Grenzunterstützungsmission am Rafah-Grenzübergang (EUBAM Rafah) die Rolle einer dritten beobachtenden Partei zwischen Ägypten und dem Gazastreifen wahr. Mit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr 2007 wurden die Aktivitäten der Mission ausgesetzt. Obwohl EUBAM Rafah seit sieben Jahren deaktiviert ist, stellt sich nicht die Frage, die Mission einzustellen. Es ist als ein politisches Signal zu verstehen, daß die EU im Juli 2014 das Missionsmandat ausdrücklich bis 2015 verlängerte.
Auch auf die zunehmende Gewalt im syrischen Bürgerkrieg und dem erschrek-kenden Machtzuwachs der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) reagiert die EU in vielfältiger Weise. Damaskus wurde mit Wirtschaftssanktionen belegt, die seit 2012 schrittweise verschärft wurden. Für bestimmte Regierungsmitglieder wurden Einreiseverbote ausgesprochen, Rüstungsexporte wurden untersagt und europäische Konten von bestimmten Personen eingefroren. Die EU unterstützt finanziell die Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW), die bis zum Juni 2014 alle Chemiewaffen zur Vernichtung außer Landes brachte. Mit 2,9 Mrd. Euro sind die EU und ihre Mitgliedstaaten weltweit der größte Geber für humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und wirtschaftlicher Stabilisierung im Umgang mit dem Syrienkrieg. Im Juli stockte die Kommission die humanitäre Hilfe um 50 Mio. Euro auf und wird im Jahr 2014 insgesamt 150 Mio. Euro bereitstellen. Darüber hinaus wurden die Entwicklungshilfen für an Syrien angrenzende Länder erhöht, um die dortigen Regierungen in ihren Hilfsmaßnahmen zu unterstützen.
Im August benannten die EU-Außenminister klar die Islamisten der IS als Hauptschuldigen für die Verschlechterung der humanitären Situation im Irak. Da sich die IS unter anderem über den Schmuggel von Erdöl finanziert, ist es zu begrüßen, daß die EU Maßnahmen einleiten wird, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Im Irak liegt der gemeinschaftliche Ansatz der EU vor allem auf humanitärer Hilfe: Im August erhöhte die Kommission die Hilfe für das Jahr 2014 auf insgesamt 17 Mio. Euro.
Bereits im Mai 2013 ermöglichten die EU-Außenminister Waffenlieferungen an syrische Oppositionsbewegungen. Bedauerlicherweise konnten sich damals die Minister nicht auf eine einheitliche Position in dieser Frage einigen. Vor dem Hintergrund der Eskalation im Sommer 2014 flammte unter den EU-Mitgliedstaaten die Diskussion auf, ob und wie irakische Oppositionsbewegungen mit Waffenlieferungen versorgt werden sollten. Es ist richtig, daß angesichts der dramatischen Lage neben Großbritannien, Kroatien, Dänemark, Italien und Frankreich inzwischen auch Deutschland Waffen in den Nordirak liefern wird.
Zu den Konfliktpunkten, die es in der weiteren Nachbarschaft der EU zu entschärfen gilt, gehört die Haltung der internationalen Gemeinschaft zum iranischen Nuklearprogramm. Bei diesem Thema hat sich die Hohe Beauftragte, Catherine Ashton, seit längerem im Auftrag der EU und auch der USA besonders engagiert: Ziel ist nicht, dem Iran die friedliche Nutzung der Kernenergie zu verwehren, als Unterzeichner des Nichtverbreitungsvertrages hat er das Recht dazu. Da aber das Vertrauen im Hinblick auf die tatsächlichen Absichten betreffend einer nuklearen Bewaffnung fehlt, ist es dringend geboten, durch Transparenz, also jederzeitigen unbeschränkten Zugang der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), dafür zu sorgen, daß sich das Land im Rahmen der internationalen Vereinbarungen bewegt. Wenn dies der Fall ist, dann können Sanktionen aufgehoben und die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen erweitert werden.
In unmittelbarer Nachbarschaft ist die EU auf vielen Ebenen engagiert, die politische, wirtschaftliche und humanitäre Lage in der Ukraine zu stabilisieren und das Land aus der gewaltsamen Vereinnahmung Rußlands zu befreien. Nach langen Verhandlungen wurde mit der Ukraine im Juni 2014 ein Assoziierungsabkommen einschließlich vertieftem und umfassendem Freihandelsabkommen unterzeichnet. Auf die dramatischen Entwicklungen, getrieben durch die proeuropäische Reformbewegung in der Ukraine, reagierte die Europäische Kommission mit der Schaffung der ca. 50 Mitarbeiter umfassenden „Ukraine Support Group” für die Unterstützung der politischen und wirtschaftlichen Reformen. Finanzhilfen von über 11 Mrd. Euro zur wirtschaftlichen und finanziellen Stabilisierung, einschließlich 1,6 Mrd. Euro „Makrofinanzhilfe”, wurden nebst detaillierten Unterstützungsprogrammen in Rekordzeit bereits im Frühjahr 2014 aufgelegt und beschlossen („State Building Contract” 355 Mio. Euro und 10 Mio. Euro für die Zivilgesellschaft). Im August stellte die Kommission weitere 2,5 Mio. Euro zur Verfügung, um Flüchtlinge im Osten des Landes mit dem Notwendigsten zu versorgen. 250.000 Euro stellte die Kommission für Maßnahmen des Roten Kreuzes bereit. Dem gewaltsamen Vorgehen Rußlands auf der Krim und im Osten der Ukraine tritt die EU mit einer Verschärfung von Wirtschaftssanktionen und Maßnahmen gegen russische Einzelpersonen entgegen.
Auf Ansuchen der ukrainischen Regierung hat die EU im Juli beschlossen, eine EU-Beratungsmission für eine zivile Sicherheitssektorreform (EUAM Ukraine) einzurichten. Diese Mission hat das Ziel, einen Beitrag zur rechtsstaatlichen Reform der Polizei- und Justizkräfte zu leisten. Die für zwei Jahre angelegte Mission wird in Kiew ihr Hauptquartier haben, für die Aufbauphase werden 2,68 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. In diesem Zusammenhang ist es verwunderlich, daß sich die EU-Außenminister über die Ergebnisse eines Optionenpapiers des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) hinweggesetzt haben. Die Verwunderung entsteht, da das EAD-Papier zu dem Ergebnis kam, daß die GSVP-Mission keinen zusätzlichen Mehrwert zu bestehenden internationalen Programmen bringen wird. Darüber hinaus bleibt fraglich, ob die EU tatsächlich unbewaffnete Berater schicken soll, die auch im umkämpften Osten des Landes eingesetzt werden sollen. Schließlich bleibt die Finanzierung der Mission unklar. Der Grund liegt darin, daß bereits zur Mitte des Jahres das EU-Budget für zivile GSVP-Missionen erschöpft war. Da die grundsätzlichen Beschränkungen für den EU-Haushalt 2014 von den Mitgliedstaaten ausgehen, bleibt es an den Regierungen aufzuzeigen, woher das Geld für die zweijährige Mission kommen soll. Es ist von den nationalen Regierungen langfristig politisch unklug, der EU mehr außen- und sicherheitspolitische Aufgaben zu übertragen, ohne jedoch die dafür erforderliche Finanzierung sicherzustellen.
Im europäischen Kontext müssen aus den dargestellten aktuellen Krisen und Konflikten die richtigen Konsequenzen gezogen werden, um die eigene Sicherheit Europas in Zukunft besser und gemeinsam gewährleisten zu können. Seit 2009 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft, der das EU-Institutionengeflecht, das institutionelle Zusammenwirken und die Grundsätze der gemeinsamen Politiken definiert. Jedoch haben es die nationalen Regierungen bislang unterlassen, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, um den im Vertrag vorgezeichneten Weg hin zu einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union zu beschreiten. Zwar wurde die Position des Hohen Beauftragten für Sicherheitspolitik/Vizepräsident der Europäischen Kommission und der ihm unterstellte Europäische Auswärtige Dienst geschaffen. Fünf Jahre nach Indienststellung dieser Institution ist zwar die Fähigkeit zur Identifizierung und Analyse von Entwicklungen oder Bedrohungen vorhanden, es mangelt aber oft an weiteren Schritten, die gemeinsames Handeln in der Sicherheitspolitik ermöglichen. Daneben haben es die Mitgliedstaaten versäumt, sich klare Regeln für die Anwendung der gemeinsamen Beistandsklausel zu geben, denn die EU hat seit 2009 eine Beistandsverpflichtung im Umgang mit externen Bedrohungen, die ähnlich der Artikel-5-Verpflichtungen des NATO-Vertrages entwickelt wurde.
Als Einstieg in eine europäische Fähigkeiten- und Rüstungspolitik haben die Mitgliedstaaten in den letzten Jahren im EU-und im NATO-Rahmen zwei Initiativen zur Beseitigung von Fähigkeitslücken gestartet. Innerhalb der EU heißt die Fähigkeiteninitiative „Pooling and Sharing“, innerhalb der NATO wird sie „Smart Defence“ genannt. Leider bleiben beide Bemühungen bisher ohne überwölbendes politisches Rahmenkonzept. Innerhalb der EU würde die Gelegenheit bestehen, auf die „Ständige strukturierte Zusammenarbeit“ zurückzugreifen, um in einen Prozeß einzutreten, der eine Annäherung der militärischen Planungsprozesse der beteiligten Staaten sicherstellt. Auch in einem anderen Feld wurde der Vertrag noch nicht umgesetzt. Mit dem Lissabon-Vertrag wurde die Europäische Verteidigungsagentur in das primäre EU-Recht aufgenommen. Doch ist auch im zehnten Jahr der Existenz der Agentur noch unklar, wie eine EU-Finanzierung von gemeinsamen Rüstungsanstrengungen im Bereich der Forschung und Entwicklung erfolgen kann.
Zwar konnten seit 2003, dem Beginn der heutigen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, zahlreiche zivile und militärische GSVP-Missionen auf den Weg gebracht werden. Doch bleiben zentrale Fragen von den Regierungen unbeantwortet: Wie kann politischer Wille schneller und nachhaltiger generiert werden, um wirkungsvolles sicherheitspolitisches Handeln zu ermöglichen? Warum wurden die sogenannten EU-Gefechtsverbände („Battle Groups“) noch nie verwendet, obwohl gleichzeitig in mühevollen zwischenstaatlichen Prozessen militärische Missionen der EU übertragen wurden? Die Gefechtsverbände sind 1.500 Mann starke europäische Infanteriekräfte, die innerhalb von 14 Tagen weltweit eingesetzt werden können.
Mit dem Lissabon-Vertrag wurde festgeschrieben, daß die EU eine Europäische Fähigkeiten- und Rüstungspolitik entwik-keln soll. Dieser Themenkomplex betrifft die EU-Politiken des
Binnenmarktes, der Industrie und der Forschung und Entwicklung. Insgesamt ist es enttäuschend, daß die Mitgliedstaaten nicht gewillt sind, diesen vertraglich vereinbarten Weg tatsächlich konsequent zu beschreiten.
Bei der Umsetzung des „Defence Pack-age“, der Richtlinien zur Vollendung des Binnenmarktes für Rüstungsgüter, die seit 2011 rechtsgültig sind, erlebt man, daß sich die meisten Mitgliedstaaten anstelle europaweiter Ausschreibung auf die „Notbremse“ des Artikel 346 zurückziehen, mit der Behauptung eines angeblichen Erfordernisses der „Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen“. Diese sind aber meist arbeitsmarktpolitischer Natur und betreffen eine ansonsten nicht wettbewerbsfähige Fabrik in einer strukturschwachen Gegend. Im Interesse höherer Kosteneffizienz bei knappen Mitteln im Verteidigungshaushalt muß hier die Kommission künftig striktere Maßstäbe bei der Definition „wesentlicher Sicherheitsinteressen“ anlegen. Gerade in Zeiten wachsender realer Bedrohungen können die ohnehin knapp bemessenen Verteidigungshaushalte nicht primär zur Finanzierung strukturpolitischer Maßnahmen eingesetzt werden.
Ein weiteres Defizit tut sich bei der europäischen Sicherheitsstrategie auf. Zwar hat sich die EU in ihren einzelnen regionalen Sicherheitspolitiken strategische Grundlagendokumente (für Ostafrika oder die Sahelregion) gegeben und themenspezifische Strategien (zu Massenvernichtungswaffen, Terrorismus oder Cyber-Risiken) erlassen. Insgesamt ist es jedoch enttäuschend, daß die Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 als Ganzes angesichts dieser Ausdifferenzierung europäischer Sicherheitspolitik auch 11 Jahre nach ihrem Erscheinen nicht substanziell überarbeitet wurde. Aus Sicht des Europäischen Parlaments würde es sich anbieten, in einen Prozeß einzusteigen, um ein EU-Weißbuch für Sicherheit und Verteidigung zu verfassen. Zum einen bietet das Weißbuch die Chance, das europäische strategische Denken fortzuentwickeln, um europäische Sicherheitsinteressen zu definieren. Zum anderen muß die Frage beantwortet werden, wann und wo die EU unter welchen Bedingungen bereit ist, legitime Waffengewalt einzusetzen.
Weiters würde das Weißbuch die strategische Debatte mit den laufenden Initiativen zur Fähigkeitenverbesserung in einen Zusammenhang setzen. Nur wenn die EU gemeinsam definiert, was sie will, dann kann sie auch ableiten, was sie gemeinsam hierfür an militärischen Fähigkeiten braucht. Langfristig kann das Weißbuch den Weg aufzeigen, wie eine europäische Armee geschaffen werden kann. Im Idealfall geht diese supranationale Armee über die bestehenden nationalen Armeen der 28 Mitgliedstaaten hinaus und bildet den militärischen Arm für das gemeinsame EU-Verteidigungshandeln.
Die Welt ist schon in unserer näheren und weiteren Nachbarschaft zeitgleich in akute Konflikten und Kriegen verwickelt. Wir sind als EU-28 davon gleichermaßen betroffen. Die Konflikte bedrohen unsere Sicherheit, unsere Handelswege, sie fordern uns heraus beim Erfordernis, humanitäre Hilfe vor Ort zu leisten und Antworten auf Flüchtlingsströme an unseren Außengrenzen zu geben oder sogar Soldaten in Einsätze zu schicken.
Die Zeit für kurzfristige nationale Einzelmaßnahmen und Reaktionen ist vorbei. Wer seine Handlungsfähigkeit verbessern will, muß zuerst seine Entscheidungsprozeduren den Erfordernissen anpassen. Dazu gehört Vertrauen in die Personen und Strukturen, die man selbst zuvor zu diesem Zweck benannt hat. Mit anderen Worten: wir müssen die Zuständigen im Bereich der GASP/GSVP ihre Arbeit machen lassen. Der Druck, der sich durch die Dringlichkeit ergibt, immer schneller entscheiden zu müssen, um wirksam handeln zu können, kann dabei heilsam sein.